Wiedergeburt in der ‚totenʼ Wüste Zur Multifunktionalität des Wüstenmotivs in Erhart Kästners „Zeltbuch von Tumilat” (1949)

المؤلف

Dozentin an der Abteilung für Germanistik Philosophische Fakultät – Kairo Universität

المستخلص

Ziel des vorliegenden literaturwissenschaftlichen Beitrags, der Erhart Kästners „Zeltbuch von Tumilat” (1949), wo es sich um einen zweijährigen Aufenthalt von deutschen Kriegsgefangenen in einem britischen Zeltlager in der ägyptischen Wüste infolge des II-Weltkriegs handelt, zum Gegenstand nimmt, ist es, die multiplen Funktionen des Wüstenmotivs aufzudecken. Anhand dreier Forschungsansätze: der  Archetypentheorie, der Symboltheorie und der Literarischen Anthropologie zeigten sich verschiedene Varianten der Wüstenwahrnehmung im untersuchten Roman auf, die sich auf philosophische, theologische sowie ästhetische Konzepte stützen. Hierdurch offenbart sich eine  komplexe Tiefenstruktur des Wüstenmotivs, die in eine Multifunktionalität mündet. Die symbolische Auffassung der Wüste im „Zeltbuch von Tumilat” u.a. als Ort des Gestorbenseins, der Heiterkeit, der Gottesnähe, der Heimatsuchung etc. verbindet einerseits den Roman mit relevaten Wüstentexten, in denen der Wüste dieselben Funktionen zukommen;  andererseits implizieren die verschiedenen fiktionalisierten Wüstenbilder im Roman den Einfluss der spezifischen Erfahrung des II. Weltkriegs auf die individuelle Wüstenwahrnehmung der Kriegsgefangenen. Die Verwandlung der Wüste in Symbole, die sich im Grunde auf Merkmale, Erlebnisse und Erfahrungen in der Heimat vor, während und nach dem Krieg beziehen, ist als Reaktion der Kriegsüberlebenden auf das Kriegsgeschehnis zu verstehen. Erst durch ihren Wüstenaufenthalt gewinnen die deutschen Kriegsgefangenen eine bessere Einsicht in ihre innere und äußere Welt. In diesem Kontext steht der modernen Wirklichkeit Europas, die den Krieg hervorbrachte, die orientalische Wüste als Gegenpol gegenüber. Dort werden die Kriegsüberlebenden wiedergeboren; und dadurch weitet sich das Traditionsgefüge des Wüstenmotivs durch den ausgewählten Roman um eine neue Funktion aus, die den individuellen Einfluss von Erhart Kästner als ehemaligem Kriegsgefangenem in der ägyptischen Wüste ans Licht bringt..

الكلمات الرئيسية


Einleitung

Sand, Sonne, Mond und Sterne der orientalischen Wüste mit ihren besonderen geografischen und klimatischen Bedingungen bieten für westliche Orientreisende im Mittelalter und dann wieder ab den napoleonischen Eroberungskriegen in Ägypten eine Attraktivität. Dies zeigt sich anhand der  zahlreichen wissenschafltichen Bücher, sachlichen Reiseberichte sowie literarischen Zeugnisse[i] europäischer bzw. amerikanischer Forscher und Schriftsteller, die sich die Wüste zum Thema machen. Dabei variieren die literarischen Wüstentexte selbst, je nach dem Erfahrungskontext ihres Autors, zwischen der realen Wertung der Wüste und ihrer metaphorischen Darstellung,  was „[d]ie Wüste als [...] ein[en] relationale[n] Begriff [erscheinen lässt], dessen Bedeutung davon abhängt, worauf er bezogen wird. Das ist der Grund, warum er vielfältig besetzbar ist, offen für alle möglichen Zuschreibungen”.[ii] In diesem Sinne wurde die Wüste in der interkulturellen Literatur des Westens im Allgemeinen und Europas im Besonderen zu einem vieldeutigen Motiv, das westlich erzeugtes Wissen reflektiert und dessen Untersuchung in der deutschen Literatur dementsprechend zu interessanten Ergebnissen führen könnte. 

Im kaum untersuchten Wüstenroman „Das Zeltbuch von Tumilat” (1949)[iii], dem die Aufzeichnungen des deutschen Schriftstellers, Erhart Kästner (1904-1974) zugrunde liegen, die er als Kriegsgefangener in einem britischen Zeltlager in der ägyptischen Wüste, in einem Tal namens ‚Tumilatʼ hervorbrachte, ist die Wüste auf Grund ihrer enormen Auswirkung auf das Leben und Denken mehrerer Romanfiguren, nicht nur Schauplatz, sondern eher Held.

          

Nichts auf der Welt schien bedeutend zu sein, nur dieses Schauspiel abbrennender Sonnen. (ZT, 9)[iv]

                     

Diese Worte, die fast zu Beginn des autobiografisch gefärbten Romans stehen, offenbaren den enormen Wüsteneinfluss während des zweijährigen Wüstenaufenthalts vom auktorialen und anonymen Ich-Erzähler, hinter dem sich der ehemals gefangene Romanautor selber verbirgt, zukommt. Die Aufdeckung der multiplen Funktionen des Wüstenmotivs im ausgewähten Roman durch die Hervorhebung der unterschiedlichen Wüstenauffassungen von den in der ägyptischen Wüste gefangenen Deutschen gilt als Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit.

Da es sich hiermit um die literaturwissenschaftliche Untersuchung eines etablierten literarischen Motivs geht, das auf ein komplexes Traditionsgefüge wiederkehrender literarischer Wüstenbilder zurückschaut, wird grundsätzlich die Archetypentheorie herangezogen, die Motive als archetypische Bilder und Symbole des ‚kollektiven Unbewußtenʼ[v] im Sinne Carl Gustav Jungs in literarischen Texten aufzufinden und zu beschreiben versucht.[vi] Die nachstehende Feststellung des Ich-Erzählers, dass die subjektive Weltwahrnehmung des Menschen nicht rein empirisch sei, sondern durch die im Unbewussten verankerten Bilder gesteuert werde, unterstützt im Prinzip die Anwendung von Jungs und auch Maud Bodkins Archetypentheorien, die die Verwurzelung von Archetypen in der kollektiven menschlichen Psyche[vii] behaupten:    

      

Was ist der Mensch? Ein Träger von Bildern, die nicht mitteilbar sind. Ein einsamer Träger von Bildern in Wachen und Schlaf. (ZT, 8)

                                                                                                                                                                                                                             

Die Archetypentheorie erforscht weiterhin die Instrumentalisierung der immer wieder auftretenden Urbilder bzw. Denkformen, Haltungen, Handlungsmuster und Situationen in den jeweiligen Texten, die durch ihre transhistorischen und transkulturellen Archetypen miteinander verknüpft sind. Hiermit wird unter Berufung auf Northrop Frye, der den kollektiven Archetypus, als „a symbol which connects one poem with another and thereby helps to unify and integrate our literary experience”[viii] versteht, auch die Beziehung vom Zeltbuch von Tumilat zu manchen literarischen bzw. künstlerischen Werken, die mächtige Wüstenbilder darbieten, ans Licht gebracht.   

Die Entwicklung bzw. Äußerung von der Vorstellung des deutschen Kriegsgefangenen in der leeren Wüste, dass der Mensch aus Bildern bestehe, bietet die Möglichkeit, eine Beziehung zwischen der Archetypentheorie und Ernst Cassirers Symboltheorie, die er im Rahmen seiner Kulturphilosophie bzw. seiner Erkenntnislehre entwickelte, herzustellen. Cassirer zufolge seien überlieferte Bilder und Symbole Zeugnisse vielfältiger Bereiche der menschlichen Kultur, die er als Grundformen der Weltauffassung ansieht, da sie die Erkenntnisinhalte durch Zeichen ständig widergeben, die den Wahrnehmungshorizont des erkennenden Subjekts gestalten bzw. neugestalten[ix]

        

[Die] Symbolwelt wird zum Anlaß, die Erlebnisinhalte und die Anschauungsinhalte in neuerWeise zu gliedern, zu artikulieren und zu organisieren.[x]

                                                                                 

In diesem Sinne werden überzeitliche Archetypen unter anderen Zeichen und Symbolen durch die kreativen symbolischen Kulturformen bearbeitet und verändert, bevor sie in die bisherige Tradition integriert werden. Dieser Aspekt von Cassirers Symboltheorie korreliert mit Leslie Fiedlers Konzept vom archetypischen Motiv als Kombination vom überindividuellen Archetypus einerseits und der ‚signatureʼ, d.h. der individuellen Aufffassung und Darstellung dessen durch den Autor andererseits. Dieser greife den Archetypus nicht nur als Kollektivmensch auf, sondern erschaffe ihn weiterhin als Künstler auch wieder.[xi] Fiedlers Ansicht vom persönlichen Einfluss des Künstlers auf den Archetypus im literarischen Schaffensprozess gilt als wichtiger Anhaltspunkt bei der theoretischen Grundlegung der vorliegenden Studie, da der Autor des ausgewählten Romans dieselbe Wüstenerfahrung seiner Hauptfiguren – die selbst Künstlerfiguren sind – gemacht hat und mit ihnen hierdurch ein individuelles Wüstenbild hervorbringt, das mit seinem eigenen persönlichen sowie, um mit Cassirer zu sprechen, kulturellen Hintergrund eng verbunden ist.

Auf Cassirers Annahme von der Ebenbürtigkeit aller Bereiche der Zeichenbildung wird Bezug genommen, wenn der Einfluss anderer Kulturbereiche außer Literatur auf die symbolische Darstellung der Wüstenwelt im Roman erforscht wird. Der theoretische Einbezug dieser anthropologischen Dimension in die Literatur verlief grundsätzlich und gezielt durch Fernando Poyatos, dessen Hinweis auf das „anthropologically-oriented use of the narrative literatures of the different cultures [...], as they constitute the richest sources of documentation for both synchronic and diachronic analyses of people's ideas and behaviors”[xii] von hoher Bedeutung für den vorliegenden Beitrag ist. Unter Berufung auf Poyatos, für den Literaturen als Archive anthropologischer Denkmuster über die Jahrhunderte gelten, und ebenso auf Wolfgang Iser, der literarische Werke als Fundus anthropologischer Implikationen[xiii] ansieht, wird neben den oben genannten Theorien auch die Literarische Anthropologie gehandhabt. Für die vorliegende Studie gilt sie als Forschungsansatz zur Erhellung des anthropologischen Wissens, das den Horizont von Erhart Kästner bei der Abfassung seines ausgewählten Wüstenromans bzw. bei der Gestaltung des in ihm zentralisierten Wüstenmotivs geprägt hat.  

 

 

Lebensverlust in der Wüste  

 

Gerate ich nicht in Verlegenheit, wenn ich beginne, das damalige Leben zu schildern? Man wird nicht erwarten, daß ich mich in der Aufzählung der kleinen Quälereien verliere, aus denen der Vordergrund des Daseins bestand: das Widerwärtige, das aus der Unfreiheit entstand, oder die abwegige Komik, die die verrückte Nähe so verschiedenartiger Menschen erzeugte, oder den ewigen Streit, die ewige Gereiztheit und die ewige Langeweile: denn es ergab sich, daß die meisten Menschen an den Rand der Verzweiflung geraten, wenn man sie nur sich selbst überläßt. (ZT, 18)

 

Mit diesen Worten schildert der Ich-Erzähler im Romans sein neues Leben infolge seiner Lieferung in britische Gefangenschaft in Ägypten unter anderen, ihm fremden, „gleichgültigen oder zuwideren” (ZT, 235) Kriegsgefangenen. Sein Verhältnis zu seiner neuen Mitwelt wird folgendermaßen beschrieben:     

 

Man kann sich nur zu wenigen Menschen bekennen. Mehrere sind es, die man erträgt, weil man muß und weil ihre Existenz zu dem Auferlegten gehört, aus dem das Leben besteht. Weitaus die meisten aber kann man nur als Erscheinungen nehmen, zu denen man keine Beziehungen hat und auch nicht wünscht, weder Liebe noch Haß, weder Abneigung noch Neigung; ist man aber gezwungen, mit ihnen in übergrößer Nähe zu leben, [...]. (ZT, 166)

              

Im Hinblick auf diesen Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen, die Heideggers Existenzphilosophie zufolge als Grundbasis für das menschliche Dasein gelten, reflektiert der Ich-Erzähler, Heideggers Daseinskonzept entsprechend, weiter über die Bedeutung der Zeit[xiv] in diesem Fall, wo man zusammen in Einsamkeit lebt:  

 

[Die Gefangenen] hatten ganz das Gefühl dafür verloren, wieviel Zeit wert ist. Denn Zeit [...] bedeutet nur, wenn man sie allein oder nach freiem Entschluß mit andern verbringt, also mit Menschen, zu denen man sich entschließt, gewonnenes Leben. Wenn man sie in gleichgültiger oder erzwungener Gesellschaft verbraucht, tritt etwas ganz anderes ein: dann ist sie geteilte, halbierte, vielfach zerstückelte Zeit. Dann ist es, als werde dasselbe Maß Zeit an so viele, als da sind, verteilt, so daß jeder nur einen Bruchteil bekommt; im ganzen ists eben vertriebene Zeit und vertriebenes, vernichtetes Leben. (ZT, 168)

 

In diesem Sinne sei das Lagerleben ein zeitloses und damit ein sinnloses Leben. Die neue Beziehung zur Zeit veranlasst ein Gefühl von Lebensverlust bei den Kriegsüberlebenden:

            

Zeit, Leben floß hin, man sah es verrinnen. Wir standen am Ufer und sahen den Strom. [...].

Leben zog draußen vorüber. [...].Wir aber waren dem Lebensflusse entstiegen. Blicke auf ihn waren wie auf Fremdes geworden. (ZT, 225)

 

Die dargestellte Beziehung der Gefangenen unter sich, zu sich selbst, zur Zeit und überhaupt zum Leben hängt unmittelbar mit ihrem neuen Niederlassungsort zusammen. Für den gefangenen Ich-Erzähler stellt das Wüstenlager von Tumilat eine große Enttäuschung dar:  

 

Weder schien es von Menschen erdacht, noch für Menschen bestimmt, wie ich hoffte.

[...]. Das Ganze lag schutzlos in der heißen Pfanne der Wüste, ohne Spur von etwas, das Menschen sonst lockt, sich irgendwo niederzulassen. (ZT, 38)

 

Die Enttäuschung des Ich-Erzählers über die Wüste ist um so größer als über das Lager selbst, was sich durch seine folgenden Worte veranschaulicht:

 

[...] Dunkel, Verlorenheit, Nacht, Sterne und Sand. [...] man [war] in heiße Einöden verbannt und umgeben von totenstarrer Natur. (ZT, 235)

 

Zum ersten Mal begegnet er der orientalischen Wüste, die vom Wüstenbild, um mit Jung zu sprechen, das in seinem Unbewussten als Europäer verankert ist, total abweicht:      

 

Eigentlich hatte ich mir die Wüste gedacht als unabsehbare Menge gesiebten sauberen Sandes. Die Wirklichkeit war verzweifelt viel weniger schön. Es war eben wüst, weiter nichts. Soweit man sah, war verkommenes Land; Verkommenheit war es, woraus sich im wesentlichen die Wüste ergab. Steine und Lehm und Sand waren von Millionen glühenden Sonnen verbacken zu diesem graugelben Einerlei, das nun überall war. (ZT, S. 19)

 

Die Eindrücke des Ich-Erzählers überschreiten allerdings diese reale Wertung der Wüstenwirklichkeit zur Beschreibung der geistigen und psychischen Auswirkung der Wüste auf die Gefangenen. Während das Gefangensein in der Wüste Einige zur Verrücktheit treibt, und Viele „abgeschabt, müde und alt” (ZT, 170) macht, wie gefangene Tiere hinter Gittern, die „in der Gefangenschaft noch einmal schrecklich gefangen” (ZT, 241) sind, leiden die Meisten an Melancholie, tiefer Unruhe und an Sorgenzuständen, die nicht selten den Grad von Wahnsinnanfällen erreichen. Die unendliche Weite der Wüste unter freiem Himmel intensiviert das Gefühl der Unfreiheit und Enge beim Ich-Erzähler und seinen „mit ihrem Schicksal hadernden, klagenden, verbitterten, hassenden” (ZT, 63) Mitgefangenen, die „Monate, Jahre hindurch [...] auf einem winzigen Stück des unabsehbaren Sands” (ZT, 22) verbringen müssen, und das Mindestmaß an Raum als elementarem Menschenrecht entbehren:  

 

Die Sinnlosigkeit, deren Urbild die Wüste selbst ist, war mit der Sinnlosigkeit, daß wir darin nur ein winziges überfülltes Viereck besaßen, multipliziert. (ZT, 22)                                                                                                                    

                                                                              

Vor allem überhöht die Wüstennatur das Gefühl der Gefangenen von Lebensverlust. Die Wüstenlandschaft, die aus stehengebliebenen Graten und geriffelten Formen besteht, entbehrt aus der Sicht des Ich-Erzählers, der aus der fruchtbaren Umwelt Europas kommt, aller Lebensmerkmale, was durch seine nachstehenden Worte zur Schau gestellt wird:   

                                                                                                                                          

Keine Farben hatte die Welt und die Erde roch nicht. Es wuchs nichts, kein Baum und kein Halm. Nur Sand, Sand und Sand.

[...]. Wir lebten in einem Neutrum von Landschaft, in einem Garnichts. Da war nichts, was besonders erquickend gewesen wäre und nichts, was besonders beleidigend war: [...] (ZT, 22)

                                                                 

Das ‚Gestorbenseinʼ der Wüste anlässlich ihrer trockenen Natur bzw. ihres Klimas, des „heftigste[n] Klima[s] der Welt” (ZT, 40), wird im Folgenden durch den Ich-Erzähler metaphorischerweise betont:   

                

Alles war Trift des ewigen Winds, der über die Weiten hinfuhr wie eine Hand über ein gestorbenes Gesicht.

Das also war die unendliche Wüste. [...]. Auch sie war das Werk des höhnischen Windes, der hin und her schoß, wie um zu wachen, daß ja nichts enstehe auf diesem Land, das nur sein Besitz war. [...]. Der Wind hatte ihm dieses Gepräge gegeben, um im Hin- und Herfegen leichter sehen zu können, daß hier nichts ohne seinen Willen geschah. Leben, das sich hier aufgemacht hätte, hätte er ohne weiteres bemerkt.

Das also war Wüste. Land, das nicht mehr empfing und nicht schenkte, nicht nährte, durch nichts mehr genährt, ausgeschieden aus dem Kreislauf des Lebens. Erde ohne Verwandlung, [...], Erde, die schicksallos war, ohne Freuden und Leiden. [...]. Dies war, was auf Erden dem Leben am abgewandtesten war. Es war das Antlitz des Todes; und nicht einmal das. So war nicht der Tod, der kommt und schrecklich ist oder sanft. So war nur Gestorbensein, das weit weg vom Menschlichen ist. [...] [N]icht Sterben, in dem Auferstehn wohnt: es war jenseits von allem. Es war das ausgemacht Öde, das Ausgelöschte, Getilgte. (ZT, 21)

 

Über denselben Eindruck äußert sich eine weitere Hauptfigur im Roman, nämlich Paul, ein Mitgefangener, der auch in Bezug auf „dieses Klima? diese furchtbare Hitze, die kein vernünftiger Mensch aushalten kann? dieses Dasein im Nichts? diese Farblosigkeit? dieses ewige Grau?” (ZT, 210) der Wüste gar kein Leben darin sieht. Zu seiner negativen Auffassung von der Wüste trägt noch die Ereignislosigkeit bei, die das Wüstenleben kennzeichnet:   

                        

„Wenn man nichts erlebt”, rief er, „so ist es kein Leben, wenn man nichts tut, ist man tot! Ohne Ereignis im Leeren zu leben, ist ein Leben wie nach dem eignen Tod!" (ZT, 211 f.)

           

Insofern wird das Gestorbensein der Wüste auf die Gefangenen selbst projiziert, die sich selbst als Tote wahrnehmen:   

                               

Sie waren, so lebendig sie schienen, wie Schemen und boten das Bild von Verstorbenen dar: wie etwas umgeht, das bei Lebzeiten zu unwesentlich war, um verwesen zu können. Das treibt sich umher wie kernlose Schalen im Wind, wie Kehricht, Hülsen, Unnützes, das [...] keinen Tod finden kann: denn der Tod nimmt es nicht an, sogar er schickts immer wieder zurück.

[...]

Ein Gespensterschiff, Und? [...]. Man kann sich über die verschiedenen Masken, die sich die menschliche Plattheit ersinnt, nicht immer von neuem entsetzen. (ZT, 233)

 

Die voranstehende Beschreibung der Wüstenlagergefangenen erweckt unwillkürlich das im überindividuellen Unbewussten bestehende Bild von ägyptischen Mumien, was an dieser Stelle das altägyptische Bild von der Wüste als Ort der Toten fokussiert.[xv]

In diesem Kontext beruft sich der Ich-Erzähler auf Anton Reisers[xvi] Äußerung, dass „er in jedem Augenblick lebend starb” (ZT, 14), und überträgt sie auf sich selbst und seine Mitgefangenen: „Das sind wir! Das ist modern!” (Ebd.) Er konnotiert dabei das Gefühl von Gestorbensein mit der Moderne, was eine Revision seiner oben angedeuteten Wüstenauffassung in Anspruch nimmt. Schon bis zum Ende ihrer Aufenthaltsjahre in der Wüste bleiben viele von ihnen an die Kriegserfahrung gefesselt, wobei „jeder versuchte, den Alp in sich zu begraben. Gelang es nicht, so sprach man wie von einem Verhängnis davon” (ZT, 231):  

                          

 In der Heimat hatte ihresgleichen längst andere Sorgen und lief ungewohnt nach dem täglichen Brot; für sie aber schien das Vergangene gegenwärtig zu sein. Ihre Uhr war stehengeblieben in der Stunde, da sie zuletzt eine Rolle spielten und noch – welches Glück! – Macht über andere Menschen besaßen. Der Wüstensand hatte sie gut konserviert, [...]. (ZT, 232)

 

Wenn man den Krieg als die schlimmste, aus dem modernen egozentrischen Denken resultierte Katastrophe hinnimmt, die ihre Spuren in der Psyche der Kriegsüberlebenden hinterließ, dann sollte die ereignislose Wüste das Gefühl der Gefangenen von Gestorbensein nur steigern. Sie ist aber an sich kein direkter Anlass dafür, wie sie der Ich-Erzähler und Paul anfangs auffassen. In diesem Sinne tritt die ‚gestorbeneʼ Wüste als eine Projektionsfläche des inneren Todes von Kriegsgefangenen hervor. Damit manifestiert sich zum Einen Cassirers These, die besagt, dass Symbole sich von kulturellen Zusammenhängen – in diesem Fall sinde es das historische Kriegsereignis und die Umstände der Moderne – determinieren lassen bzw. gemäß jenen Zusammenhängen bestimmte Ausformungen annehmen, und dass sie dementsprechend Aussagen über den kulturellen Hintergrund des Menschen selbst enthalten, der sie erschaffen hat. Zum Anderen profiliert sich der von Fiedler erläuterte Einfluss persönlicher Erfahrungen vom Autor – der in diesem Fall selbst Kriegssoldat und Kriegsgefangener war – auf die Instrumentalisierung von Archetypen. Beide angedeuteten Thesen finden einen Nachdruck durch die folgende Stellungnahme zur Wüstenauffassung bei Europäern überhaupt:

 

Wenn ein Europäer über die Wüste spricht, spricht er in der Regel nicht über die Wüste, sondern über das, was er mit der Wüste verbindet, das heißt letztlich über sich selbst. Die Wüste ist [...] ein relationaler Begriff, der [...] mehr über denjenigen aussagt, der über sie spricht, als über das, was man tatsächlich dort sehen oder vorfinden kann.[xvii]

 

Unter dem Einfluss der Kriegserfahrung entstehen weitere Wüstenbilder  im Roman, die mit dem ersten erläuterten in engem Verhältnis stehen. Die Erinnerungen der Kriegsüberlebenden an die in ihrem Innern immer noch lebendigen Bilder von der Kriegszerstörung sind das Einzige, was sie miteinander teilen bzw. austauschen. Wie sie in jenen Bildern festgebannt sind, kommt im folgenden Zitat zum Ausdruck:    

 

Was – was eigentlich sollte nun mit den Bildern, die in ihnen waren, geschehn? Mit diesen Erinnerungen, [...]? Denn sie waren ja da. Wäre es möglich gewesen, sie ins Meer des Vergessens zu schütten, es wäre das beste gewesen für sie und für die Welt. Denn es kann nicht gut sein, wenn die Seelen voller Alpträume sind. [...]: welche Erlösung der Menschheit, wenn sie sich reinigen könnten von diesen Bildern, [...].

Vergessen, vergessen. Man weiß, daß das Leben nur möglich ist, indem man vergißt. [...]

[...] Es ging nicht mehr aus ihnen heraus, denn es hatte Wurzeln bis in die äußersten Spitzen ihres Wesens getrieben. (ZT, 169)

 

Solche Erinnerungen „in jener weltfernen Verbannung, welche Sehnsucht und Schmerzen, Liebe und Kummer ins Ungemessene vermehrt” (ZT, 109), enden mit einem „untermalenden Schmerz, der sich auf die Heimat bezog – dem Kummer [...], mit dem man Deutschland bedachte” (ZT, 23):  

 

Das war Dreißigjähriger Krieg. Das hatte – dies Bild im besonderen, aber auch vieles andere, was [man] von Rußland und von Italien erzählte – den starken Geschmack des Dreißigjährigen Krieges. Über die Jahrhunderte hin war jenes Ohnegleichen eines sinnlosen Krieges, jenes völkerverwirrte Über-die-Länder-Ziehen und Länder Verwüsten wieder nach oben getrieben im brodelnden Angsttraum der Welt. (ZT, 30)

     

Die Scham vor der „Ungewißheit über das Maß [des] Ruins” (ZT, 106), bzw. vor dem Unwissen, wie es inzwischen im untergegangenen Deutschland wahrhaftig aussieht, treibt den Ich-Erzähler und seinen Mitgefangener Paul, eine genaue Kenntnis vom maßlosen Verlieren zu erwerben. Sie weben die einzelnen Nachrichten ineinander, die die Gefangenen in den Briefen der Frauen, Mütter, Brüder oder Bekannten als Augenzeugen vom unheimlichen Unheil erhalten. Dadurch bekommen sie das, „wonach [sie] verlangten: ein Bild” (ZT, 103) von der Heimat, die jetzt „ganz und gar fremd” (ZT, 106) aussieht, und „eine richtige Kartothek des Verlorenen” (104). Die Trauer um das Entschwundene und Zerstörte vertieft sich Tag für Tag, bis sie „uns zu Boden wirft und uns erstickt” (ZT, 122):  

                   

Trauer ist anfänglich nicht übergroß, aber sie wird es bald sein. Die Zeit wird sie nicht heilen, die Zeit trägt sie aus. Sie ist ein bitterer Kern, der eingepflanzt wurde in uns: bald wird er aufgehn und wachsen, durch Jahre hin wachsen, und wird uns noch sprengen. (122)

 

Die Kriegsüberlebenden werden innerlich zerrissen, dass sie letztendlich sich selbst als beängstigende Trümmer wie die Trümmer in der Heimat ansehen:

             

Kein Herz unter uns, das nicht ein solcher Berg von Trümmern begräbt. Das ist unser Innen”. (ZT, 118)

 

Diese Selbstwahrnehmung der Gefangenen erklärt deren wiederholte Schilderung von der inneren Leere,   

                         

Denn der Schmerz, den die Nachricht  eines [...] Verlustes erzeugt, ist [...] ganz dem eigenen Ich zugewandt. [...]. Denn es ist in uns, dies Nichts, der Abgrund, die Leere – [...]. (ZT, 122)

 

Die hier profilierte innere Leere korreliert mit der Leere der Wüste, die immer wieder betont wird, z.B. in: „Leere der ägyptischen Wüste” (ZT, 180); „Dort, in der Wüste, war es öde und leer.” (ZT, 29) oder „ Es war ein Dasein im Leeren.” (ZT, 22). Der Ich-Erzähler fasst den Anblick des Nichtseins in der platten ägyptischen Wüste als Wiederspiegelung seiner inneren Vernichtung, die wahrhaftig die vernichtete Heimat projiziert. Dies zeigt sich am klarsten, als er plötzlich in den Giebeln der Zelte die „barocken, grünkupfernen Dächer[...] der verlorenen Stadt” (ZT, 119) Dresden sieht, die infolge der Vernichtungstage bzw. der Untergangsnacht verwüstet wurde. Die Vorstellung, dass die mittlerweile zerstörte Heimat zur Einöde wird, wie die ägyptische Wüste, verstärkt sich auch durch die folgenden Worte, die in einem der Briefe aus Deutschland stehen:

 

„[...]. Auch wir gehen hier durch eine unabsehbare Wüste, [...] ob sie noch einmal aufblüht für uns?" (ZT, 111)

 

Die ausgelöste Furcht vor der Verwüstung der europäischen Heimat entnimmt der Ich-Erzähler weiterhin dem Anblick einer antiken Amphore, die ein Zeltgenosse  tief im Sandboden der  ägyptischen Wüste aufgefunden hat, "[d]ort, wo nichts weit und breit war, nichts, was eine frühere Menschenansiedlung verriet" (ZT, 153). Die Annahme eines mitgefangenen Ethnologen, dass die Vase wahrscheinlich von Rhodos nach Ägypten als Handelsware geraten sei, offenbart über die Tatsächlichkeit interkultureller Beziehungen zwischen Europa bzw. Griechland und Nordafrika bzw. Ägypten hinaus die Offensichtlichkeit, dass an derselben Fundstelle in der unfruchtbaren Wüste einst fruchtbare Landschaften und Menschenleben gegeben hat. Im Folgenden wird die ethnologische Stellungnahme dazu angeführt:

                           

[...], zu beiden Seiten des unteren Nils hätten bestimmt noch zu römischen Zeiten andere Quellenverhältnisse geherrscht; wo jetzt Lybische Wüste sei, hätten sogar bis ins arabische Mittelalter hinein hunderte von Dörfern und Städten gestanden mit Gärten, Feldern, Obst, Oliven und Wein. Rom habe ja auch von den nordafrikanischen Ernten gelebt, und dort sei jetzt Wüste. Und hundert ähnliche Fälle: wo einst die hängenden Gärten der Semiramis waren, sei jetzt auch nur noch lechzende Erde; babylonische Königsstädte lägen tief unterm Sand und wenn man Alexanders Zug nachziehen wolle, so komme man jetzt durch wüstes oder halbwüstes Land; damals aber seien es blühende Landschaften gewesen. [...].  je weiter man in die Wüsten vordringe, desto ältere Zeichen des Menschengeschlechtes treffe man an. [...] die Höhlenbilder von Tibesti und Ahagor bezeugten für älteste Zeiten mitten in der Sahara das Hausen von Menschen. (153 f.)

                            

Die Verödung der einst fruchtbaren Dörfer und Städte in der Tiefe der oberägyptischen Wüste, die jetzt nur ein „verbrauchtes, vertanes, verkommenes Land” (ZT, 154) ist, vergegenwärtigt für den Ich-Erzähler den Gedanken der eventuellen Verwandlung von Fruchtbarkeit in Wüste, der sich nocheinmal im Folgenden verkörpert: 

 

[...] die Vase [...] strahlte Altertum aus, mitten in der geschichtslosen Wüste. [...]. Etwas Griechisches, etwas Antikes! In die Unform, die uns umgab, ins Ungespannte, Ununterbrochene, in das gestaltlose Flache, trat etwas, das voller Form und Abstufung war, voller Spannung in sich. Dieses Gefäß gehörte einer erfüllten, alles ordnenden Welt; davon lebte es und das sagte es aus. Ringsum aber, worin wir lebten, das gehörte zu nichts. (ZT, 152) 

 

Die Landung einer antiken Vase in einer Wüste symbolisiert den Verfall der einst blühenden Hochkultur der Antike, wodurch sich das Bedrohungsgefühl des Ich-Erzählers davor verstärkt, dass dem modernen Europa ein ähnliches Schicksal widerfährt, wie das vom alten Griechenland. Insofern tritt die ägyptische Wüste mit ihrer Kargheit als Spiegelbild des verfallenden modernen Europas, was ein wichtiges interkulturelles Moment im Roman darbietet, das im Folgenden klar wird:    

 

[...] war es denn so, daß sie die eigentlich moderne Landschaft war, diese Wüste? Das kroch ja wie Grauen am Leib Europas empor. Das war ja die Zukunft, die drohte. Hier war es unmöglich, zu Hause zu sein. [...]. Hier war die Summe der Unheimlichkeit in der Welt. Wenn wir aber heimkommen würden in die vernichteten Städte: würde es weniger wüst sein als hier in der Wüste?

Und nicht nur die Städte; ihre Verwüstung war ja nur als ein Sinnbild zu nehmen. Denn auch der Zustand der Menschen war so; [...]. Ausgehöhlt, ohne Enthusiasmus [...] – glaubenslos, und leidend daran, [...] – gelähmt durch Vielwisserei, ohne die Kraft und die glückliche Blindheit der Seele, [...] – voll Überhebung, und so in tiefe Schwermut versenkt – unsicher geworden [...], heillos, ausgesetzt und verwirrt: - das war doch die Lage von allen.          

Man sah einer Zukunft entgegen, [...]. Mitten im Abendland, mitten im Erb- und Eigenland dieser Amphore, wuchsen rapide die Wüsten. (154 f.)

          

Der letzte Satz im Zitat führt direkt auf Zarathustras Lied zurück: „Die Wüste wächst”[xviii]. In diesem Ausspruch von Nietzsche, der im Rahmen seines – im Anschluss an Schopenhauers Kulturpessimismus entwickelten – philosophischen Nihilismus-Konzepts zu verstehen ist,[xix] symbolisiert die Wüste das Nichts, die absolute Sinnlosigkeit des modernen europäischen Lebens, dem eine Wertlosigkeit zugrundeliegt. Die Auflösung aller sinngebenden Werte der vormodernen abendländischen Kultur wie Wahrheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit und der Verzicht auf moralische Verbindlichkeit führten, so Nietzsche, zur Unklarheit und Desorientierung der modernen europäischen Kulturgemeinschaft. Auf jene philosophisch-ästhetische Instrumentalisierung vom Archetypus der Wüste durch Nietzsche, die im Hinblick auf die Symboltheorie näher verstanden werden kann, bezieht sich der Ich-Erzähler bei der Darstellung des modernen Weltbildes, dem er wie Nietzsche mit einem Skeptizismus gegenübersteht. Gegen dieses Bild erhebt der Kriegsüberlebende, der im Ereignis des II-Weltkriegs schon die höchste Ausprägung der Entwertung Europas und dessen Destruktion überkommener Moralvorstellungen sieht, durch die voranstehenden Worte Einwand.

     

             

Wüste heilt.

Der Einfluss von Nietzsche auf die Wüstenauffassung bzw. Wüstendarstellung des Ich-Erzählers endet nicht mit der Adaption des Letzten vom Nihilismus-Konzept. Es zeigt sich im Roman eine andere positive Wüstenwahrnehmung von Nietzsche, die im Kontrast zu der oben erläuterten steht, und somit die Ambivalenz von Nietzsches Philosophie im Allgemeinen manifestiert. In seinem Spätwerk verharrt Nietzsche nicht im Nihilismus[xx], sondern vesucht, ihn durch eine willentliche Weltbejahung zu überwinden. Dies erfolgt durch seine Polarisierung von Nord und Süd, bei der der Norden als das Feuchte, Sumpfige und Kranke auftritt, während sich im Süden das Trockene, Heitere und Gesunde verkörpert, was durch die nachstehenden Worte von Zarathustra zum Ausdruck kommt:

 

Vergib mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete: - bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermütigen Alt-Europa![xxi]

 

Als „Antinihilist und Besieger des Nichts”[xxii] stellt Nietzsche in seinem Gedicht „Die Wüste wächst” die orientalische Wüste dem ‚Wachsen von Wüstenʼ im modernen Europa entgegen und plädiert sogar für das Schaffen von orientalischer Wüste auf gedanklicher und geistiger Ebene. Hier rückt die Annahme von vielen Archetypentheoretikern, dass der Rückgriff des Künstlers auf bestimmte Archetypen eine Art Ersetzung des seinerzeit kulturell Verdrängten sei,[xxiii] an den Vordergrund.

Die zweite positive Wüstenauffassung von Nietzsche vertritt im Roman der Dirigent, Haffner, ein Mitgefangener des Ich-Erzählers, den dieser schon aus Athen kennt, wo er während des Kriegsverlaufs „das griechische Orchester dirigiert[e], Konzerte und Mozart-Opern mit griechischen Sängern, am Fuß der Akropolis, an Sommerabenden im antiken Theater” Dabei erschienen „die Gefangenen in Ketten aus Nischen und Gewölben”. (ZT, 60) Mit seiner Musik stellte sich Haffner damals dem Kriegsgeschehnis entgegen, das er als Resultat der totalitären Ansprüche der Moderne sah und immer noch sieht. Er übt Kritik an der modernen Welt, die die Menschheit versklave, in dem sie sie zum Erfolg zwinge und sie ihren materiellen Gesetzen und Maßstäben entsprechend handeln lasse, dass „dieses oder jenes ‚erreichtʼ oder ‚in die Tat umgesetztʼ oder ‚eine Errungenschaftʼ gemacht” werde. (ZT, 236). Dabei spricht er die Menschen selbst von ihrem Übergang zu Sklaven nicht frei: „Sie wollten das Neue um jeden Preis und seien erstaunt, wenn sie vor lauter Fortschritt sich auf einmal im Leeren befänden”, (Ebd.) oder wenn ihr Erfolg mit Jammer ende. Haffner reagiert auf seine Abneigung für die bedrückenden Lebensverhältnisse der Moderne mit einer Hochschätzung des Wüstenlebens auf Grund seiner Einfachheit, Reinheit und Freiheit, die dem Wüstenbewohner gewaltige Habgier, alltäglichen Ärger und jeden Lebenskampf ersparen und ihn mit Selbstzufriedenheit und Heiterkeit erfüllen. In dieser Hinsicht ist Haffner ein „zufriedener Mensch. Der erste zufriedene Mensch in der Wüste. (ZT, 63), der sich darin vollkommen einlebt und sogar ihr Nichts-Erleben genießt. Obwohl er wie Alle sich eine Befreiung von der Gefangenschaft wünscht, hofft er „etwas von der Essenz dieser Tage seinem Leben für immer zusetzen zu können”. (ZT, 210)

Der Anblick von diesem selbstzufriedenen Musiker in der Wüste erweckt beim Ich-Erzähler „das Bild eines einsamen, der Welt entronnenen Mönchs” (ZT, 69), was ihm die Anachoreten, die frühesten „Weltverächter und Wüstenpilger” (Ebd.), die in der ägyptischen Wüste gehaust haben, ins Gedächtnis zurückruft:  

                                    

Es begann mir zum Anliegen zu werden, genaueres darüber zu wissen. Ich empfand, wie sehr es mich störte, in einem Raume zu sein, der ohne Vergangenheit war. [...] Denn wir sind Erben auf jeden Fall und können einer Kraft, die zu beschwören einmal gelang und die dann einer Stätte angebannt blieb, durchaus nicht entraten. (ZT, 69 f.)

 

In den  „theologischen Zelten” (ZT, 79), wo gefangene „Pfarrer Wohnung besaßen” (Ebd.) erhält der Ich-Erzähler Auskunft über jene Heiligen bzw. über ihre ehemaligen Einsiedeleien in der ägyptischen Wüste. Der Kirchengeschichte zufolge gelte das Natrontal[xxiv] als Urheimat des Wüstenmönchtums.[xxv] Dort seien fünftausend Mönche als Einsiedler in die Wüste gezogen und hätten in mönchischen Siedlungen gelebt. Bis zu der Zeit, als die muslimischen Araber in jene Gebiete gelangten, seien sie schon siebzigtausend gewesen. In diesen Kontext wird Gustave Flauberts Roman „Die Versuchung des Heiligen Antonius” (1874)[xxvi] einbezogen, wo der berühmte Anachoret bzw. Gründungsvater des Wüstenmönchtums auf der östlichen Seite des Nils, in der Nähe eines ägyptischen Tempels siedelt und immer „weiter wüsteneinwärts [...], gerade etwa soweit in die Wüste wie wir” (ZT, 70) zieht. Durch diese Bezugnahme sowie durch die Verfolgung der Anachoreten-Kirchengeschichte der Lagerpfarrer erhellt sich die religiöse Dimension der ägyptischen Wüste in der Frühzeit, was die Wüstensymbolik im untersuchten Roman ausweitet und die positive Wüstenwahrnehmung in der jüdisch-christlichen Tradition, auf die Monika Schmitz-Emanz bei ihrer Beschäftigung mit dem Wüstenmotiv bereits eingeht, in den Fokus stellt:  

                                    

Die Wüste, in die der Exodus das israelitische Volk führt, ist der Raum der Bewährung, der Selbstfindung, ja der möglichen Begegnung mit Gott. Denen, die durch die Wüste ziehen, gibt Gott sein Gesetz, und die Stimme des Rufers in der Wüste bereitet die Ankunft Messias vor.[xxvii]

 

Im Alten Testament wird die ägyptische Wüste als der Ort geschildert, wo Gott sich für Moses infolge seines Auszugs mit den Israeliten aus Ägypten am Berg Sinai offenbarte und ihm dort die zehn Gebote verkündete.[xxviii] Diese theologische Auffassung von der ägyptischen Wüste als Ort der göttlichen Offenbarung wird vom Ich-Erzähler durch den folgenden Kommentar bejaht:   

                      

Die großen Religionen der Welt sind alle aus den Wüsten geboren. Das heißt: aus den Nächten der Wüste.  (ZT, 87)

 

Da Moses sich in der ägyptischen Wüste der neuen Religion als einem Weg zur Annäherung an den monotheistischen Gott verpflichtete, wurde die Wüste in mönchischer Tradition zum privilegierten Ort für die spirituelle Erfahrung Gottes bzw. zum symbolischen Ort der Umkehr und der Gottesnähe.[xxix] Inwiefern Wüste mit Askese und Eremitentum verknüpt ist, wird im Roman anhand der Schilderung von der Spiritualität der Anachoreten erhellt. Ihr Rückzug aus ihren Heimatdörfern dorthin, wo sie nichts außer sich hatten, wurde von ihnen als entscheidender Schritt für geistige Klarheit und innerweltliche Läuterung begriffen, die schließlich zur Gottseligkeit führen sollten:    

                                                        

Sie [...] wußten: Einsamkeit ist die erste Stufe der goldenen Treppe, die zur Seligkeit führt. [...], der Weg zur Weisheit [...] führt über die Einöden.

Nun fiel alle Unrast von ihnen ab. Sie erfuhren: die Wüste macht frei. Freier und freier wurden die Seelen, keine kleinen Begierden schränkten sie ein. Sie erfuhren: man konnte in der Wüste nur tun, was man vor Gottes Thron auch getan haben wollte. (ZT, 74)

 

Das voranstehende Zitat weist einen weiteren wichtigen Aspekt bei der Wüstenauffassung in asketischer Tradition auf, der mit dem Moment der Gotteserfahrung bzw. Gottesnähe konnotiert ist. Es geht um die Ansicht der Anachoreten, dass die unabsehbaren Weiten der Wüste frei machen, was auf die alttestamentarische Darstellung von der Wüstenreise der Israeliten als Befreiungsakt aus ihrer Sklaverei in Ägypten zurückzuführen ist. Insofern macht der theologische Begriff die Wüste zum Zufluchtsort bzw. zum Heilort für Mönche, die der materiellen Welt entfliehen und sich auf die Suche nach einem neuen unbefleckten Leben begeben wollen:  

                      

Gewiß war es mit den Auswanderern in die Wüste [...] so. Sie dachten gar nicht daran, ein schlechteres Leben zu führen, als das Leben in den unerträglich gewordenen Städten es war. Sie wollten ein besseres Leben beginnen: wer wollte das nicht? [...]. Es scheint, ihr Versuch enttäuschte sie nicht.

Wer will behaupten, daß Verneinung des Lebens sie trieb? Sie verneinten ein Leben, das ihnen nicht mehr genügte, weil sie ein anderes bejahten. Sie flohen die schal gewordene Welt, weil sie eine frischere suchten. Jeder denkt so in einer sterbenden Zeit. Aber nur wenige sind entschlossen wie sie.

Sie schlugen einen magischen Zirkel um sich, in den sie nur einließen, was ihnen bis dorthin, bis in die Einsamkeit, folgte. Sie taten es sicher, um ihr Leben stärker zu fühlen und die ihnen zugemessene Zeit in Sorgfalt zu nutzen.

[...]. Sie wußten gewiß: Unfreiheit ist dort, wo die Zeit, das einzig kostbare Gut, in Geschäften verrinnt, deren Sinn fragwürdig ist und verhaßt. Wieviel Sklaverei herrscht in der Freiheit und wird nicht beim Namen genannt.  (ZT, 73 f.)

                                            

In dieser Hinsicht ähnelt die spirituelle Wüstenerfahrung der Mönche der philosophischen Wüstenauffassung Haffners, der in der Wüste auch eine Möglichkeit zur Selbstbefreiung von den Lastern des modernen Lebens[xxx] sieht:  

                            

Je mehr die Ketten des Wirklichen an einem hingen, [...], desto schwerer falle es wohl, das Wesenlose des sich Ereignenden zu erkennen. Hier in der Wüste, in dieser Unwirklichkeit, sei es leicht, sich zu lösen. (ZT, 210)

 

Haffners Anschauung vom Wüstenaufenthalt als einer besonderen menschlichen Lebenserfahrung jenseits der Zivilisation verbindet das Zeltbuch von Tumilat mit einem weiteren Wüstenroman, auf den auch durch den Ich-Erzähler hingewiesen wird: Paul Bowles „Himmel über der Wüste” (1949), wo ein amerikanisches Ehepaar versucht, der ‚barbarischenʼ westlichen Welt, die den Zweiten Weltkrieg zur Folge hatte, durch die Flucht in die Wüste zu entgehen[xxxi].  

 

 

Wüstenleben zwischen Wirklichkeit und Einbildung

Die oben angedeutete Erklärung für die freiwillige Hinwendung der Anachoreten zur Wüste bzw. für die Vorliebe Haffners für sie als Heil- und Zufluchtsort setzt voraus, dass diese Liebhaber der Wüste sich der faktischen Welt entziehen, die ihre Freiheit und Selbstentfaltung einschränkt. Ihr Weltentzug betrifft aber selbst die reale Wüstenlandschaft, aus der eine neue, ihren Maßstäben entsprechende Welt geschaffen wird. Unter diesem Gesichtspunkt wandelt sich die theologische Wüstenromantik der Anachoreten bei Haffner in eine ästhetische um. Er vertritt die Kunsttheorie, es sei „ das Urverlangen der Kunst, dem Wirklichen so viel Unwirklichkeit beizumengen, als es zu seinem Heile bedürfe. Denn danach sehne es sich, das sei seine Lust”. (ZT, 210) Ihm nach sollte man „der Wirklichkeit eine Dosis Schein zu[...]setzen: das sei es, was sie erlöse”. Die Menschen neigten zur Kunst, denn „keine Seele halte es allzulang in der Wirklichkeit aus, dann müsse sie wieder eintauchen in die Gewässer des Scheins”. (ZT, 213) „Unwahrscheinlichkeiten [...] können viel Überzeugendes haben: wir sind vom Traum her an sie gewöhnt”. (ZT, 216) Wie Träume aus Haffners Sicht „äußerste Wachheit” seien, sogar „viel wacher als Waches” (ZT, 209) und wie Schein über Wirkliches dominiere; darüber äußert er sich im Folgenden:  

                                                                 

„[...]. Wenn wir begreifen, daß Schein nicht weniger als Wirklichkeit ist, sondern mehr, so bleibt uns im Kerker immerhin eine Art Tür: das Bewußtsein, daß alles ein Gang durch eine Traumlandschaft ist, eine Wanderung, die uns nur zeitweilig von einer Heimat der Klarheit entfernt, die wir nie gänzlich vergaßen: [...].” (ZT, 242)

                            

Auf Grund der ihm als Künstler zugewiesenen imaginativen Leistung fasst Haffner sein Wüstenleben anders als seine Mitgefangenen auf:

 

Die großen Feinde der andern, die Leere, die Langeweile, die Öde, hatten über Menschen wie ihn keine Macht. [...]. Und was die gefährlichste Feindin betraf, die Melancholie, [...] so hatte sie eine geringere Macht über ihn als über andere, [...]. (ZT, 64)

 

Die Wüste erscheint für Haffner als ein imaginärer Raum, wo er eine neue, selbstgeschaffene ästhetisch-musikalische Welt durchsetzen kann:

 

Durstlos, [...], lebte er in dieser durstigen Welt. [...].

[...]. War nicht die ganze Welt eine Wüste? Und nicht die Wüste auch wieder die Welt, insofern dort Raum für Musik war? [...]. Er atmete, also machte er auch Musik. (ZT, 66)

    

Eine unterschiedliche Kunstauffassung vertritt der Mitgefangene Paul, der Kunstverehrer, der auf Grund seiner starken Passion für Kunst im Allgemeinen und für Mal- und Dichtkunst im Besonderen in Deutschland Kunstgeschichte studiert hat. Paul ist Sammler von wertvollen internationalen literarischen Werken und Wiedergaben bildender Kunst, die verschiedenen Kunststilen angehören bzw. aus den verschiedensten Zeiten, einschließlich antiker und altägyptischer, stammen. Er vertritt die postmoderne kunsttheoretische Ansicht, ein Kunstwerk sei „eigentlich nur ein Fenster und man blickte ins Drüben hinein”. (ZT, 50) Dabei gehe es nicht um die dargestellte konkrete Wirklichkeit selbst, sondern eher um das unsterbliche Abstrakte, das hinter dieser Wirklichkeit stecke, und das der Sphäre „zwischen Schlaf und Wachsein” (ZT, 52) entstamme, sei es eine Idee, ein Traum oder ein Wunsch[xxxii]:                                  

 

Sicher, auf das Wirkliche zielten sie nicht, diese Bilder. [...]: sie drangen immer durch die Erscheinung durch wie durch Glas. Das Wirkliche war für sie nichts als ein verhüllendes Kleid. [...]: nicht die Dinge wurden in jenen Bildern gemalt, sondern das, was sie waren, bevor sie zu Dinglichem wurden oder nachdem sie es waren: wenn sie sich wieder auflösten in ihr einzelnes Sein, [...] es war die Laune, die Phantasie eines Dings dargestellt, gar nicht es selbst, sondern [...] ein Traum, den es hatte. Ein Verwandlungswunsch, den es sich ausmalte in seinem zeithabenden, unbeobachteten Sein und in langen, träumenden Stunden. [...]. Nicht die greifbaren und festen Konturen der Dinge, nicht ihre lockenden Oberflächen, Farben und Formen, nicht ihre Umrisse, [...].

Hier waren die Dinge von ihren Zwecken gelöst. Hier hatten sie frei. [...]. Nun gab ihnen Kunst, [...], endlich Leben und Recht. (ZT, 44)

 

Paul zufolge lebte das im Kunstwerk Dargestellte durch andere Künstler fort. Durch deren zeugende Einbildungs- und Darstellungskraft vermögen sie, bereits dargestellte Ideen, Träume oder Wünsche „zu empfangen und wieder, aus eigener Kraft, [...] neu zu gebären” (ZT, S. 42), so dass sie unendlich „in immer neuer Gestalt” wiederkehrten (ZT, 14). Zur Wiedergeburt von Ideen und Träumen durch Kunstwerke äußert sich Paul folgendermaßen:   

 

Immer waren diese Gebilde durchaus erfunden, nie nachgeahmt, immer geboren, wie Gedichte es sind. Nie stammten sie aus der wirklichen Welt. Mit keinem einzelnen dieser seelenhaften Geschöpfe [...] betrat man vordem nie betretenes Land. Es war eine Welt hinter der Welt. (ZT, 48)

 

Aus dieser Perspektive stellt für Paul die tatsächliche Zerstörung der Heimat einschließlich ihrer künstlerischen Bauten und Merkmale durch den Krieg kein Ende dar, solange es Künstler gibt, die an die Ruinen wiederanknüpfen und das durch sie Dargestellte wieder zur Welt bringen. Dazu sollten auch Kunstverehrer verhelfen, die Exemplare von künstlerischen Meisterwerken zu bewahren bzw. zu propagieren, was er selbst während seiner Wüstengefangenschaft unternimmt. Bei dieser Initiative übersieht Paul dennoch die positive Rolle der ägyptischen Wüste als Ort der Rettung  europäischen künstlerischen Überbleibsels, das jederzeit durch die Einbildungskraft von neuen Künstlern wiederbelebt werden kann. Beim Ausdruck seines Hasses für die Wüste bzw. bei seiner Kritik an Haffners Liebe für sie, die er lediglich als Lebensabkehr und Weltentsagung versteht, beachtet Paul nicht, dass er seinen Bücher- und Bilderschatz, das ihm Wertvollste, was er aus Europa hat, erst durch seine Lieferung in die ägyptische Einöde beschützen konnte.

Die langen Kunstdebatten zwischen Haffner und Paul, die um das ewige Verhältnis zwischen Eingebildetem und Wirklichem in der Kunst kreisen, entwickeln beim Ich-Erzähler als dritter Figur im Roman, die ebenso von Kunstbegeisterung geprägt ist, eine neue Weise der Wirklichkeits- und Welterfassung und demzufolge auch eine neue Wüstenwahrnehmung. Der Ich-Erzähler adoptiert Haffners und gleichzeitig auch Pauls kunsttheoretisches Konzept, und bildet daraus seine eigene ästhetische Theorie. Ihm zufolge sei „die Welt mit dem Theater und mit einem Schauspiel” (ZT, 123) zu vergleichen, das sich zwischen zwei verschiedenen Wirklichkeitsstufen bewege, nämlich der agierten Wirklichkeit und der durch die Illusion des Zuschauers gemalten Wirklichkeit. Hierdurch werde der Zuschauer selbst zum Spieler, was im Folgenden näher erläutert wird: 

                                        

Jeder ist so Zuschauer der Welt. Jeder sitzt so im verdunkelten Raum, allein, und das Schauspiel gilt ihm. Jeder erblickt das Spiel vor einem Prospekt, den die Spieler nicht sehen: aus seinen eigenen Erinnerungen ist er gemalt und aus seinen geheimen Analogien gewebt. [...]. Verknüpfungen, die nur sein Eigentum sind, Vergangenheiten, über die sonst niemand verfügt, melden sich, drängen sich an. Hoffnungen, Wünsche, Befürchtungen, die nur sein Eigentum sind, treten wie angerufene Schatten hervor. Ein Leben sammelt sich immer in jedem Moment. (ZT, 124)

 

Aus diesem Blickwinkel betrachtet der Ich-Erzähler sich erstmal als Zuschauer, der vor der Wüstenwirklichkeit steht; und in einem zweiten Schritt schaut er dann durch diese Fassade hindurch, um im Sinne Pauls das dahinter Stehende wahrzunehmen und es mittels seines Imaginationsvermögens neu zu gestalten, was ihn schließlich zum Spieler macht. Hierdurch vollzieht der Ich-Erzähler eine Ästhetisierung der realen Wüste im Sinne Haffners:   

 

Es entstand, mitten im unendlichen Sand, ein gläserner Raum, sinnlos ins Nirgend gestellt und doch mit genauer Sorgfalt bewacht: ein Bild, das die Merkmale des Unwirklichen trug. (ZT, 7)

                 

So beginnt der Ich-Erzähler, die verschiedenen realen Wüstenerscheinungen nicht mehr durch die Sinne zu erleben, sondern durch seine imaginative Einbildungskraft symbolisch zu erfassen, denn „Imagination hieß die Herrin der Welt” (ZT, S. 10). Dadurch entsteht eine neue Beziehung des deutschen Gefangenen zur phantasierten Wüste. Er gewöhnt sich an ihre bescheidenen Zelte, ihre brennende Sonne, ihre Sandstürme und ihre kalten Nächte, da sich seine Seele von den in ihnen erzeugten Bildern ernähre:   

                        

Anfangs war das eine heftige Qual. Wenn der Tag begann, war man von Ekel erfüllt.

Mit der Zeit aber, freilich nach vielen Monaten erst, vollzog sich ein Wandel. Die Unruhe fiel ab. (ZT, 23)

                          

Über den Einfluss des neuen Wüstenbildes auf den Ich-Erzähler bzw. über seine erlösende Kraft, die das Unfreiheitsgefühl des Ich-Erzählers aufhebt,  äußert sich dieser wie folgt:  

 

[Es] entwickelte sich ein anderer Sinn. Er befähigte einen, zu sein, wo man wollte. Die Einbildung war deutlich wie die Realität. Die Wirklichkeit hätte nichts mehr dazu zu schenken vermocht. Man besaß alles, was in der Ferne und in der Erinnerung war, man besaß es reiner, abgezogener und vom Zufall des Momentanen befreit. Das Dasein in der Wüste war nichts. Aber in dieses Nichts stürzten Bilder hinein.

Man lebte wie auf einem anderen Stern. Wir sahen das Irdische, wie man es von einem Mond aus wahrscheinlich sähe: aus dem Dunkel des Weltraums erhellt, wie im dunklen Theater die Bühne. Was man auf diese Art sah, war deutlich, aber es war nur noch theatralischer Schein. [...] an Geltung hatte es mächtig verloren. (ZT, 23)

                            

Die Art und Weise, wie sich sein Imaginationsprozess in Bezug auf die Wüstenrealität abspielt, entnimmt der Ich-Erzähler Adam Elsheimers Gemälde, das Josephs Flucht von Bethlehem nach Ägypten[xxxiii] darstellt und dabei einen Wald inmitten ägyptischer Wüste zeigt. Dennoch weist die symbolische Erfassung der Wüste durch den Ich-Erzähler eine andere Funktion als bei Elsheimer auf. Sie gilt als Manifestation des seinerzeit verbreiteten Bruches mit der Wissenschaft als einzigem Mittel zur umfassenden Erfassung der Wirklichkeit, was sich durch das Folgende erhellt:

 

[...]: die Wissenschaft stürmt in Erkenntnisse vor, der Verstand eilt durch Räume, die keine Räume mehr sind, die Bildkraft bleibt ohnmächtig zurück. (ZT, S. 9)  

                                   

Diese Gegenüberstellung von Wissenschaft und Bildkraft als zwei Methoden für die Wirklichkeitserfassung bezieht in diesen Kontext Heideggers Gegenüberstellung von moderner Technik und Kunst bei der Weltauffassung  ein. Heidegger warnt vor der Verwüstung der Erde durch die Technik und übt somit Kritik an der Technikgläubigkeit bzw. dem Fortschrittswahn, denen Wissenschaft zugrundeliegt. Demzufolge verkündet er die Kunst als einzige Chance zur Rettung der Welt vor Zerstörung durch die Technik mit ihrem Herrschaftsverhältnis zur Umwelt.[xxxiv] Heideggers Technikkritik und der damit verbundene, durch die Kriegserfahrung erstarkende Erkenntnisskeptizismus, der etablierte bzw. dominante Konzepte erschüttert und vor allem die Vernunft des erkennenden Subjekts als Zentrum des Erkenntnisprozesses in Frage stellt, gelten als eine Radikalisierung der schon angedeuteten nihilistischen bzw. antimodernistischen Kulturkritik Nietzsches. Die an dieser Stelle dargebotene  Analyse der Verfasserin für die Entscheidung des Ich-Erzählers zur symbolischen Wüstenauffassung unterstützt die Anwendung der Archetypentheorie, der im Prinzip „ein Weltbild zugrunde[liegt], das an der Fragmentarisierung der modernen Lebenserfahrung leidet und Logozentrismuns sowie Technikgläubigkeit als einseitige menschliche Entwicklung verurteilt”.[xxxv]

 

 

 

Wiedergeburt durch Wüstenzauber

In der ästhetischen Bilderwelt, die Haffner, Paul und der Ich-Erzähler mitten in der Öde entstehen lassen, entdecken sie eine magische Kraft. Die reine Magie der Wüste, „die fast keine Wüste mehr war” (ZT, 230) schenkt den in ihr gefangenen Kriegsüberlebenden eine neue Lebenschance, die durch den nahe fließenden Wasserkanal symbolisiert wird:     

                         

In weiter Ferne zog ein Kanal vorbei, aus dem wir unser Wasser bekamen -: es war der von Tumilat, wie ich jetzt weiß; er läuft vom Nil quer durch die Arabische Wüste, schon Herodot spricht von ihm. Zuweilen sah man am Horizont ein Segel erscheinungshaft durch den Wüstensand ziehen. (ZT, 22)

                                                                                                      

In der einst von den Gefangenen als tot aufgefassten Wüste fließt nun Wasser, das ihnen selbst und erstaunlicherweise auch ihrer vernichteten Heimat ein neues Leben widmet; eine weitere Wüstenfunktion im untersuchten Roman, auf die durch das nachstehende Zitat verwiesen wird und die im Darauffolgenden ausführlich erläutert wird:       

 

In solch eine Umwelt fiel nun wie vom Himmel so zart Belebtes, in solche Unheimat so Heimat hinein. (ZT, 58)

 

Haffner glaubt, dass Künstler auf Grund ihrer besonderen Einbildungs- und Schaffenskraft imstande seien, die Wirklichkeit zu verändern, da die Welt sich von ihren Weltwerken ernähre, die „Verwirklicher von Unwirklichem seien” (ZT, 237):  

                     

„[...] [I]mmer wird in der Kunst das Neue gewollt und künstlich erscheinen. Aber nach einer Weile sehen Alle die Dinge mit den Augen des Künstlers, der sie dieses Sehen gelehrt hat. Die Dichter, die Künstler, sind es: sie formen die Welt. [...]. Alle von Gott geschaffenen Dinge noch einmal mit Menschenkräften zu schaffen [...]: ohne das lebte die Seele in Eiseskälte feindlichen Raums. Nur die Künstler vermögen Atemluft für die Seele zu schaffen, die Welt lebt von ihnen, [...].” (ZT,  208 f.)    

 

Unter diesem Gesichtspunkt stellt Haffner „der sein Leben in der Wüste führt, wie es das Leben von Künstlern und Weisen seit Anbeginn ist” (ZT, 151) ein mäßiges Orchester aus interessierten, wenn auch unbegabten Gefangenen, zusammen, schult es und lässt außerdem Instrumente im Lager verfertigen, um Mozart, Haydn und Beethoven in all der Hitze der glühenden ägyptischen Einöde wöchentlich zu spielen, wo vermutlich noch nie klassische Musik gemacht worden ist. „[Z]u Schein und Schauspiel erhöht [gibt er] Welt verwandelt zurück”. (ZT, 230):

                                                   

Die Konzerte, die er da und dort gab, waren so gut wie Symphonie-Konzerte daheim; sie unterschieden sich nur dadurch, daß sie im Sande stattfanden, [...] Sie waren unter den Sternen. Und sie waren auf ein Gebiet dieser Erde versetzt, das beispiellos ohne Gestalt war und vom menschlichen Geiste verlassen: in die Wüste, mitten ins Unfruchtbare, ins Tote hinein. (ZT, 216)

                  

In dem Haffner versucht in jenes Unfruchtbare, „ins Zuwidere etwas hineinzuvermengen, was es wenigstens halbwegs zu unserem Eigenen macht”, (ZT, 64) „komponiert er aus der Wüste ein europäisiertes Landschaftsgemälde”[xxxvi], das den deutschen Wüstengefangenen selbstverständlich vorkommt, denn                                 

 

[e]r trug eben, als Künstler, die Welt, in der er lebte, bei sich. Er hatte kein Gepäck von Europa herübergebracht, nichts, nichts. Aber im Grunde hatte er alles bei sich. Daß Fehlendes sich mit der Zeit wieder anfinden werde, hing nur von seinen Magnetkräften ab. (ZT, 64)

                  

Da Haffner zufolge Schein, Traum und Einbildung als Mittel zur Weltgestaltung insbesondere in der unbegrenzten Leere, Weite und Ferne der Wüste blühten, die sie der künstlerischen Entfaltung freien Raum lässt, wirkt der „verwegene Zauber der Bühne” in der reinen Atmosphäre der Wüstennächte, in denen die Sterne und der Mond hervortreten „so aus dem Nichts [sogar] stärker als bei manchem Theater daheim” (ZT, 176) aus. Die „[v]ollkommene Kunst” (ZT, 217) des vormodernen Europas verbindet sich mit der Zauberkraft der Wüste bzw. mit deren durch Nietzsches Nord-Süd-Polarisierung betonten Heiterkeit. Dadurch werden die Kriegsüberlebenden in eine neue Welt versetzt, wo sie sich vom Bann der ihnen verhassten Wirklichkeit der Moderne bzw. der Wüste befreien, und wo ihnen eine längst fehlende Seelenruhe und ein neues Lebensgefühl zugeströmt wird. Sie werden wiedergeboren, wie der Ich-Erzähler es durch die nachstehenden Worte schildert:      

                                       

Als wenn auf die unsägliche Dürre des Bodens, die zugleich die Dürre unserer Seelen war, Regen gefallen wäre, sanken die tauigen Tropfen, von vielzähligem Schimmer beglänzt, auf uns herab: [...] auf uns, die durstig waren und wie die Tafeln gelöscht, so daß nichts in uns war als nur dies, nichts sonst, was störte, kein Tag, den tausend Dinge verwirrten.

Jeder wünscht sich, sein Leben noch einmal ins Reine zu schreiben. Wenn ich mein Leben noch einmal lebte und wegließe, was stumpf war und schal und verfehlt: ich ließe diese Zeiten nicht weg. Ich ließe anderes fort, aber nicht [...] die gereinigten Sinne, nicht dieses Gelöschte. (ZT, 76)

 

Wie es Haffner gelingt, den innerlich toten Kriegsgefangenen bzw. der entschwundenen vormodernen klassischen Kultur durch das Musizieren in der ägyptischen Wüste wieder Leben einzuhauchen, so wird auch der Geist der untergegangenen  Heimat in der Wüste durch Paul wiederbelebt. Durch lange Gespräche mit dem Ich-Erzähler offenbart er seinen Willen zum Zurückerhalt des Verlorenen, das trotz aller Zerstörung weiterbestehe und jederzeit von Neuem wiedergeboren werden könne. Dies weise sich schon durch die lange Menschheits- bzw. Kunstgeschichte:  

 

„[...]. Eine zerstörte Stadt wurde immer wieder genau auf den Trümmern der alten erbaut, [...]. Wann hat man begonnen, unsere alten Städte ohne Sinn zu zerstören? Etwa erst in diesem scheußlichen Krieg? Keineswegs; schon lang, lang vorher, als man die alten Tore einriß und die guten Bürgerbauten, um an ihre Stelle etwas Falsches, Geprahltes zu setzen: Ungestalt für Gestalt. Die Geschichte der Kunst ist die Geschichte der Zerstörung der Kunst. Wir erleben nichts Neues: bilde dir das nur nicht ein.”

„Es ist nicht einmal Tragik darin”, fügte er nach einer Weile hinzu. „Die Baumeister bauten ja schließlich nicht Steine, sondern Imaginationen. Hat sich das Imaginäre manifestiert, so ist das Hinsterben der leiblichen Hülle so sehr und so wenig tragisch wie der Tod nach erfülltem Leben es ist.” (ZT, 116 f.)

                                                                                                                           

In diesem Sinne überlebe der den Trümmern innewohnende Geist durch Künstler, die Vergängliches wieder erzeugten. Die Frage, wie man dazu käme, dass man im Verlust der prächtigen Bauten des Vaterlandes durch Krieg keinen Grund für Angst oder Verzweiflung sehe, wird von ihm folgendermaßen beantwortet:

                                         

„[...]: wie können wir das Verlieren bestehn. Verlieren zu können: Summe der Weisheit, Kunst aller Kunst, die uns instand setzt, dies Leben zu tragen. [...]. Wenn Untergänge uns dazu bringen, auf andere Weise mit dem zu stehn, was uns morgen auch noch geraubt werden kann, so ist bei allem Beraubtsein doch noch Gewinn. Wenn wir uns dazu vermögen, im Vergänglichen nichts als die Kraft zu sehn, die es wieder und wieder erzeugt: dann ist Vieles gewonnen. [...]. In den Werken haben wir nichts als die Erscheinungen des schaffenden Geistes. Ihn zu verehren, muß unsere Aufgabe sein. Hingegen müssen wir uns zu trösten wissen, wenn die Erscheinungen sich uns wieder entziehn.” (ZT, S. 117 f.)

                         

Auf diese Weise verhält sich Paul, wenn er seinen Blick vom schmerzlichen Untergang abwendet und ihn auf das Aufkommende hinrichtet, was er schon durch den Krieg erlernte:  

 

So hatte er diesen heillosen Feldzug bestanden, ohne daß er es darauf angelegt hatte, der Gefahr und dem Tod zu entgehen: [...]. Er wußte wohl, daß in Stürmen dem Willen eine magische Schutzkraft einwohnt. [...] Wer hätte es nicht erfahren in Zeiten, in denen das Schicksal unverhüllter agiert [...] als in beruhigteren Tagen: daß es Magien zu geben scheint, denen die Dinge sich beugen? (ZT, 28 f.)

                                                                                                                                                                                      

Bei der Wiederbelebung der Heimat rechnet Paul zum Einen mit solchen Magien und zum Anderen mit Künstlern bzw. Kunstverehrern wie sich selbst, die im Alten Neues erblicken und im Toten Lebendiges aufspüren. So begegnet er der Nachricht von der Verbrennung aller Bücher und Bilder in seiner pommerschen Heimatstadt nach einer Weile von Verstörung und Zorn mit der Entscheidung zur Zusammenstellung einer Bibliothek aus den wertvollen Büchern, die er als einziges verbliebenes Besitztum aus Europa mithat. Sein weiterer Widerstandsakt gegen Verlust ist, diese Bücher auch abzuschreiben. Er verrichtet das in der ägyptischen Wüste, die schon einmal seinen aus den verschiedensten Städten Europas gesammelten Bilder- und Bücherschatz vor Kriegszerstörung rettete.                

Im Gegenteil zu Paul erfasst den Ich-Erzähler während seines Wüstenaufenthalts eine tiefe Angst vor dem Verlust der Heimat, zu der er in  unwiderstehlicher Sehnsucht getrieben wird. Das „Gefühl der Treue zu dem, was von Einem geht [denn] [m]an liebt es und man weiß, dass es vollkommener war” (ZT, 112) motiviert den Ich-Erzähler dazu, „Abgelebtes noch einmal aufleben zu lassen”, (ZT, 242 f.) denn „[d]ie einzige Würde, die wir erwerben können [ist]: ein Gestern zu haben. [...]. Mein Heute wächst, von meinem Gestern genährt.” (ZT, 127). In diesem Sinne stellt sich der Ich-Erzähler eine Unendlichkeit der Zeit vor, und damit eine endlose Wiederholung alles Geschehenen, das schon unendlich geschah, ohne Zweck, Ziel oder Finale:

                

In diesem Bilde der Welt kreist alles in sich. Alles ist Folge von Früherem, wie es Ursache von Künftigem ist, [...] so malt jedes Leben ein früheres Leben. (ZT, 229)

                                                                     

Das Bekenntnis des Ich-Erzählers dazu, alle von ihm breits erlebten Ereignisse wiederzubeleben, damit er sie auf ewig wiedererleben kann, ist eine Form der Lebens- und Weltbejahung, die Nietzsches Spätwerk kennzeichnet, und in der Konzeption der ewigen Wiederkehr des Gleichen[xxxvii] an Profil nimmt. Mit diesem Konzept tritt Nietzsche seinem eigenen Nihilimus bzw. seiner Verneinung jeder Wert-, Seins- und Erkenntnisordnung, und in dieser Hinsicht  auch den apokalyptischen Visionen seiner Zeit entgegen.[xxxviii] Den lebensbejahenden Willen des Ich-Erzählers zum Zurückgewinnen von Vergangenem in der Wüste erklärt er mit der Lust, die er in diesem Vergangenen findet:   

                                                                                  

Ein Instrument besitzt die Musik noch, die es erzeugte. Was es spendete ist noch in ihm [...]. Die Meistergeige verliert, wenn man sie lange Zeit nicht mehr spielt. Es gibt keinen toten Besitz.

[...]

Dies Wieder-Erleben vergangenen Lebens erfüllte mich sehr. An den beruhigten Spiegel ereignislos gleitender Tag stieg Fernes aus fast vergessenen Tiefen herauf, summiert, eine Essenz, aus den reifsten Momenten der erlebten Dinge gezogen. Es war eine große Repetition. Ich erinnerte mich. Köstliches Wort. (ZT, 225)

                                                                                                           

Das Erinnern des Ich-Erzählers an Vergangenes in der Heimat korreliert mit seiner ästhetisch-symbolischen Wüstenwahrnehmung. Anhand seiner Einbildungskraft, „die von Hitze, Einöde, Trauer und Sehnsucht genährt war”, (ZT, 123) ruft er Unerreichbares ins Leben zurück und versucht, es imaginativ „noch einmal wiederzugeben, wertlos und roh wie es war” (ZT, 243). So bildet er sich z.B. schöne Sandformen, regelmäßige Sternenkreise und horizontweite Himmelsbilder ein, die auf phantastischer Ebene seinerzeit verlorene Werte in Europa wie „Weisheit [...], Ordnung, Gesetz, Vielfalt und Trost” (ZT, 7) symbolisieren. Symbolischerweise vergegenwärtigen weitere Naturelemente der Wüste, vor allem Sandkörner, die dem Ich-Erzähler als durchsichtiges „Kristall oder Glas” (ZT, 123) erscheinen, durch das er hindurchsehen kann, lange zurückliegende Europaerlebnisse und gewisse Deutschlandbilder, die längst „aufgehört hatte[n], gegenwärtig zu sein” (ZT,  243):  

 

Ich war wie von Bildern umstellt. Sie waren ringsum, es war zwischen ihnen fast nicht mehr hindurchzusehen. [...]. Siehe: unter Bäumen der Weg! Moosige Feuchte! Siehe, das Haus! [...]. Malven, Rittersporn, beeteweis! Und von Tannen umrauscht! Ach, und nun duftet es auch. [...].

Wie stark und erfüllt alles ist. So voller Kraft. Jedes Ding so bei sich. (ZT, 124 f.)

                                                             

Unter diesem Aspekt fungiert die Wüste an dieser Stelle im Roman als Ort der Heimatsuche, wie sie schon in der jüdischen Tradition vorkommt, wo das Verlorensein der Israeliten in der arabischen Wüste sich mit einer verzehrenden Sehnsucht nach der verlorenen Heimat verknüpfte, die im Bewusstsein des israelistischen Volkes immer lebendiger wurde. Im selben Sinne erlangt auch die Heimat des Ich-Erzählers ihre Lebendigkeit in der Wüste zurück, ihr ursprüngliches „Antlitz, das einmal jung war und beinah ein Jahrhundert bestand. [...]. Was Gestern war, ist in diesem Antlitz noch heut. Was dazwischen war, scheint wie die Schlaflosigkeit einer einzigen Nacht”. (ZT, 127). Was zwischen gestern und heute steht, ist eigentlich die jüngere Vergangenheit des Krieges, die der Ich-Erzähler durch seine Wiederanknüpfung an die ferne Vergangenheit überschreiten will. Zum Einen entlarvt sich dadurch Erhart Kästners Fluchtakt vor seiner Nazi-Vergangenheit[xxxix]; und zum Anderen gilt die Wiederanknüpfung an ehemalige Landschaftsbilder in der Heimat als eine typische literarische Haltung, die der Romanautor von den inneren Emigranten übernommen hat, die den „den Krieg zur Reise in Natur und Kunst machen”: [xl]   

                        

In den orangenen Frühen, in denen ich mich in die Erinnerung griechischer Wandertage vertiefte, war ich ja von dem Gedanken erfüllt, daß in der Wiederholung von einmal Gelebtem und seiner Überführung in verdichteten Schein etwas Befreiendes liege. Als sei Überwindung darin. Weil Schein nicht weniger als das Wirkliche sei, sondern mehr. Mir schien es ein Weg – [...] – , um die Dinge aus ihren Fesseln zu lösen, indem man sie anrief mit ihrem Namen und Wort. (ZT, 242)

                                                                                 

Aber nicht nur Dinge aus der Heimat werden durch die Erinnerungen des Ich-Erzählers zum Leben zurückgebracht, sondern darüber hinaus geliebte verstorbene Menschen, die für ihn mit ihren Gebärden und Redewendungen in der Wüste „gegenwärtig und da” (ZT, 141) werden. Die folgende Beschreibung von einem ihm sehr nahe liegenden Bekannten[xli] infolge seiner Wiederbelebung weist eine große Gemeinsamkeit mit der oben angeführten Schilderung der wiederbelebten Heimat auf:    

                   

Ich glitt wie auf Flügeln in dies Antlitz hinein. [...]. Ich hatte gefürchtet, in dem Abbild werde die Leidenssumme der letzten Zeiten gezogen sein und alle Schmerzen lägen darin [...]. Aber: die Stirn war entwölkt. Die Falten: wo waren sie hin? Entfaltet, wunderbar, war das große Gesicht [...]. Alterslos war nun dies Haupt, von unerklärlicher Jugend erfüllt. Ähnlichkeit war nicht mit dem Angesicht, das ich kannte, eher mit Bildern, die Jahrzehnte alt waren. (ZT, 142 f.)

                                                                  

Alles, was dem Ich-Erzähler in Erinnerung tritt, erfüllt ihn mit einem Wohlgefühl, das er im Folgenden beschreibt:  

                  

 [I]ch geriet in einen sonderbaren Zustand der Ablösung hinein. Was um uns war, schien mir  keinen hohen Grad der Wirklichkeit mehr zu haben. Das Eingebildete und Erinnerte schien wirklich und gültig zu sein. Ich besaß die entfernten Dinge so klar und genau, als stünden sie leibhaft vor mir.[...]. Alles schien stärker in meinem Besitz, war reiner, summierter und war mehr bei sich. [...]. Ich besaß mein Leben in einer starken Essenz; sie war aus den reifsten Momenten aller begegneten Menschen und Dinge gezogen.  (ZT, 122)

       

Dank des geistigen und psychischen Wüsteneinflusses bzw. des Wüstenzaubers dringt die Heimat geheilt immer stärker vor, während die faktische Wirklichkeit immer weiter zurücktritt. Über seine Aussage: „Nähe war fern und das Ferne war nah” (ZT, 10), die seine neue Lebenserfahrung in der Wüste impliziert, stellt der Ich-Erzähler einen Bezug zur positiven theologisch-philosophischen Wüstenwahrnehmung von Meister Eckhart[xlii] her, die sich mit seiner mystischen Lebenserfahrung verband:  

 

Kaum daß ich mich erinnern kann, irgendwann gestillter gelebt zu haben als in jenen Tagen. Die Abgeschiedenheit, die Ekkehart als den Grund des richtigen Lebens preist, schien endlich gewonnen zu sein. Ich hätte den Prospero-Vers, den ich in Indipohdi gefunden hatte: 'Dem Leben fern bin ich dem Leben näher...ʼ über all diese Tage hinschreiben können. Ich sah, daß die Wüste die eigentlich kontemplative Landschaft ist. (ZT, 223 f.) 

 

Die Heilkraft der Wüste, die die Anachoreten schon früh entdeckten, und die Haffner unter indirekter Berufung auf Nietzsche profiliert, fasst der Kriegsüberlebende endlich ins Auge. Seinen zweijährigen Wüstenaufenthalt betrachtet er neulich als einen Übergang in ein neues erfülltes Leben: 

               

[...] [D]ie Übergänge sind es ja meist, die Aufschlüsse geben, mehr als die Zustände der Dauer, [...] aus Übergängen wie Wunden [quillt] Schmerz, Einsicht und Heilendes [...]. (ZT, 38)

 

Bezüglich eines Neubeginns in der Wüste, den der Ich-Erzähler mit dem Lebensbeginn nach dem Ende eines Sandsturms vergleicht, ähnelt die Anschauung des Ich-Erzählers der Auffassung der Anachoreten von der Wüste in folgender Hinsicht: 

                    

Sie bot den weiten Raum, in dem man unabhängig von allen weltlichen Bedingungen existieren konnte. [...]. Sie war kein Paradies, im Gegenteil: ein unwirtlicher und gefahrenreicher Ort. Wer in ihr leben wollte, musste stark sein und kämpfen können. Aber genau das wollten die neuen Wüstenbewohner. Ihnen stand nicht der Sinn nach Rückzug in kontemplative Oasen. Sie wollten sich bewähren. Sie wollten den „schmalen Weg” gehen, der hart und unbequem war, der sie aber am Ende in das Reich Gottes führen würde. [...]. Sie wollten einen wirklichen Anfang „machen”. Dazu gewährte ihnen die Wüste die idealen die geradezu idealen Voraussetzungen.[xliii]    

 

Für seinen Neubeginn macht der Ich-Erzähler sich den griechischen Spruch „des Dichters des Großen Traums”, Cervantes:  „‚Nimm Kraft aus deiner Schwäche.ʼ” (ZT, 244) zum Leitwort. Hierzu entdeckt er seine Kraft, die er  folgendermaßen bekanntgibt:

                                                      

Meine Kraft, daß ich Vergangenes beschwöre. Es ist, nur weil ich noch bin. Ich halte, ich halte. Wenn ich nicht mehr bin, ist alles dahin. (ZT, 127)

                                            

Die dem Ich-Erzähler innewohnende Kraft besteht in seiner gegenwärtigen Existenz, die er durch Tätigkeit bestätigen sollte, denn „[m]an ist stärker in dem, was man macht, als in dem, was man ist”. (ZT, 225). So beginnt er, zu schreiben. Der Wehrmachtssoldat wird in der ägyptischen Wüste zu einem Autor wiedergeboren, der durch die schriftliche Fixierung von Erlebtem nicht nur seine Kriegserfahrung zu überwinden, sondern vor allem sich selbst als Schriftsteller zu behaupten versucht:  

   

Ich schrieb. Nach der abgefallenen Last des Krieges schrieb ich weit Zurückliegendes auf, vom ersten Tag an. Während die andern der Hitze, den Fliegen, der Enge und andern ägyptischen Plagen mehr Aufmerksamkeit schenkten, genoß ich den Vorteil, daß ein Schreibender nichts braucht als Stift und Papier, um der Zeit und dem Raum so entrückt zu sein wie es ein Träumender ist. [...]. So schrieb ich und zog Gewinn aus dieser merkwürdigen Lage, die mich aller Pflichten enthob [...], mit Vorzügen für Lesen und Schreiben. Langeweile hatte ich nicht, das Schreiben ist eine erstaunliche Zeitverzehrung. (ZT, 24)

 

Insofern wandelt sich auch die anfängliche negative Zeitwahrnehmung des Ich-Erzählers in dem von ihm neu aufgefassten Wüstenleben in eine positive um, was die wechselseitige Beziehung zwischen der Raum- und Zeitwahrnehmung im Roman darstellt.

                                             

So genoß ich Morgen für goldenen Morgen.

           Große Chance des Lebens, daß man die Morgen hat. Daß Zeit Erneuerung schenkt. [...]. Immer werden die Tafeln wieder gelöscht: [...] Befleckung wird immer wieder getilgt, immer sind Morgen jung, kühlstark und frisch. Immer findet sich Kraft wieder an, stellt Verlorenes sich wieder her. Neubeginn, zu dem man Gewonnenes hinretten kann, während Verfehltes die Tiefe verschlingt: im Grund besteht alles Weiterschreiten darin. (ZT, 226)

                                      

Entgegen seiner Angst, dass aus dem Zerstörten nichts mehr wird, was ihn den Sinn seines Überlebens schon oft in Frage stellen ließ: „[D]as Überleben ist traurig, Paul! [...]. Schrecklicher als zu sterben, ist da bleiben zu müssen” (ZT, 117), entscheidet sich der Ich-Erzähler schließlich zum Weiterleben bzw. zum Weiterschreiten. Dies gelingt ihm mit Hilfe der Wüstenheiterkeit, die ihm samt anderen Gefangenen im Lager innerlich zugeströmt wird:

 

Es war lächerlich, wie wenig ein jeder von uns besaß, fast nichts. [...]. Aber wir gingen mit der Heiterkeit derer durchs Leben, die fast nichts mehr besitzen. Keine Sorgen. Dafür aber Zeit. (ZT, 224)

 

Die Zeit als wertvolle Gabe im Leben nutzt der Ich-Erzähler zum Wiedererschaffen weiterer Kriegsüberlebender aus, die geistig und psychisch zerstört sind. Die Eröffnung einer Zeltschule im Lager für Kriegskinder, die kaum die Chance hatten, während des Krieges, die Schule zu besuchen, und damit „unwissend wie Heidenkinder” (ZT, 157) blieben, motiviert den Ich-Erzähler dazu, jenen von solchen hunderten „Übriggebliebenen” (ZT, 161) Literaturunterricht zu erteilen. Anhand der Literatur sollte ihre „Beschränktheit und krasse Unbildung” (157) als Grund für ihre Verführbarkeit bekämpft werden. Erstaunt über den enormen Einfluss von Literatur auf jene ungeschulten Jüngeren, die nun Liebe, Furcht, und Trauer um Tote fühlen können, nachdem sie nur die schlimmsten Greueln des Kriegs miterlebten und „mit sechzehn oder siebzehn [...] zum Morden befohlen” (157) wurden, drückt sich der Ich-Erzähler wie folgt aus:

 

Ich fürchtete, ihre Herzen seien zu sehr mit Härte gepanzert und ihr Sinn zu sehr auf derbe Geschichten und aufs Schrille gestellt.

Indessen, es zeigte sich, daß sie um das arme Hannele Tränen vergossen. Sie, die aus Fatalismus oder aus Tapferkeit im Apennin Jagdbombern standhielten, welche auf jeden einzelnen schossen, und die ungerührt davon sprachen, wie sie vier Tage und Nächte mit einem toten Kameraden allein im Panzerloch standen: es zeigte sich, daß die Geschichte vom steinernen Herzen sie heftig ergriff. Sie wären nicht darauf gekommen, daß ihr eigenes Herz auf dem Weg war zu versteinen; über dem Märchen aber erweichte es [...]. Sie [...] schlugen die Augen nieder, als sie von der Liebesfahrt Romeos und Julias [...] hörten, die zugleich eine Todesfahrt war. Anfangs schien es, als ob nur das Heftige und Radikale ihnen Eindruck zu machen vermöge, aber siehe, sie zeigten sich unverloren für das Gedicht: [...]. (ZT, 158 f.)     

 

Das Aufwachsen der Passion von den jungen deutschen Kämpfern für Literatur erfolgt „unter afrikanischem Himmel” (ZT, 161), wo sich ihnen „eine lebens- und leistenswerte” (ZT, 160) Welt eröffnet. Dort verbindet sich die ästhetische Kraft der deutschen Literatur mit der Zauberkraft der ägyptischen Wüste und belebt jene beinahe gestorbenen Kinder „in ihren ungelebten Gefangenen-Tagen” (ZT, 162) wieder:  

                                                                                                                                                                              

Da sah man, wie die Umgebungen, die durch die Sinne in unser Inneres schlüpfen, immer wirksam sind, ohne daß man es merkt, und uns unspürbar verändern. (ZT, 78)

 

Lebensgewinn wird zum Kennzeichen vieler anderer Wüstengefangener. Dies trifft vor allem auf diejenigen zu, die eine Theatergruppe bilden oder auf die Anderen, die Operetten und sogar Ballette aufführen, wodurch sich ihre anfängliche Einsamkeit aufhebt. Mit dem gleichen Maß an Eifer eröffnen einige Gefangene eine Werkstatt und üben rastlos ein Handwerk aus. Da jeder Mensch etwas Pflanzenhaftes in sich habe, agiert eine Gefangenengruppe wider die Lebenslosigkeit der Wüste durch Anbau. Sie verlegt sich „auf das Hervorzaubern von kleinen Gärten”, (ZT, 156) wo sie Teeblätter, Löwenmaul, Gladiolen und auch Malven einpflanzt:  

 

[...] [D]iese Kerle brachten [Malve] wieder in den Osten zurück, und mitten im Sand sah es wie in Pfarrgärten aus.

Das ging, das war möglich. Es war ermutigend, daß dieses verstockte, mondhafte, für Mensch und Tier verlorene Land einer Pflege nicht trotzte und sich wieder zurückrufen ließ. (ZT, 157)

 

Entgegen der anfänglichen Furcht des Ich-Erzählers, dass aus Leben Wüste wird, wird schließlich aus lebloser Wüste Leben:

           

Denn es waren rührende Menschen; wenn die Menschheit nur aus Gärtnern bestünde, gäbe es nie einen Krieg.

Und keine Wüsten. (ZT, 156)

 

Die Entstehung von Gärten in der Wüste manifestiert die symbolische Umkehrung des Wüstenbegriffs in sein Gegenteil, sowie er bei Nietzsche erscheint, sich durch Haffner offenbart und von den Anachoreten verkörpert wird. In diesem Zusammenhang ist auf die Erfüllung des Wunsches vom Ich-Erzähler, „in Zukunft ein wenig Anachoresis, ein wenig Wüste nie mehr aus dem Sinn zu verlieren”, (ZT, 74) hinzuweisen. Tatsächlich wird aus einigen Gefangenen, die auf Grund ihres Glaubensverlustes infolge der Kriegserfahrung sich selbst als „gottverlassene[...] Menschheit” (ZT, 30) ansahen, und hiermit Nietzsches nihilistische Aussage „Gott ist tot”[xliv] in einer oder mehrerer Hinsicht präsentierten, neue Frömmler. In dem diese neuen Gläubigen die Existenz Gottes wieder anerkennen und ähnlich wie freiwillige, weltflüchtige Wüstenpilger mit ihm einen neuen Bund schließen, werden sie wiedergeboren: 

  

Vielleicht hatte die Wüste sie umgestimmt, [...]; man mußte begrüßen, wenn neue Frömmigkeit über das Land ging und bedauern, daß es nicht längst schon so war. Jetzt jedenfalls waren Viele vom Gotteseifer ergriffen. Zu mehreren, wiederholten Malen am Tag fanden sich Beter und Vorleser in Scharen zusammen [...].” (ZT, 189)

 

Ferner sollte sich der ausgesprochene Wunsch vom Ich-Erzähler im übertragenen Sinne realisieren, wenn die Wüstengefangenen zukünftig ein unschuldiges Leben wie das in der Wüste führen könnten, das abseits von Besitz, Rang, Gier und Habseligkeit bestünde; wenn es ihnen gelänge, etwas vom heilsamen Stoff der Wüste „in ihr Leben zu mengen. In dies tüchtige Leben, das seine Sklaven zu immer neuen Erfolgsjagden peitscht und sie dann wieder in Abgründe stößt, in denen das Elend mit Wolfszähnen nach ihnen schnappt”. (ZT, 213). Diese interkulturelle Dimension der Nord-Süd-Beziehung, auf die Nietzsche schon hinweist, wird im Folgenden hervorgehoben: 

 

Wir hatten schon alles verloren geglaubt. Und nun, in diesem unwirklichen Land, erwuchs es uns neu; wir besaßen es mehr als zuvor. Es war wie vor Jahrhunderten, als es den großen Zauber der Ferne noch gab, [...] später, als alles immer erreichbarer wurde, schwand viel von dem Zauber dahin. Jetzt in der zertrennten, unerreichbar gewordenen Welt, wo die Fernen sich wieder auftürmten, zum Spott der schnellen Maschinen, wuchsen die Wunder auch wieder empor.

Uns, in jenem nichtsgültigen Land, waren die Wunder der Ferne das, was Europa uns sandte. (ZT, 77)

 

Die neue Wüstenauffassung vom Ich-Erzähler erklärt, wieso er sich nach seiner Befreiung von der Wüstengefangenschaft und seiner Rückkehr in die Heimat nach der Wüste sehnt:

 

Wie es kommt, daß mich nirgendwohin, sogar nach Griechenland nicht, so unbändige Sehnsucht verzehrt wie nach der Wüste, weiß ich selbst nicht zu sagen. Aber mein Schmerz, nicht mehr dort zu sein, ist der Schmerz eines lebenslangen Verlusts, und seltsamerweise mischt sich etwas wie Reue darein, [...] als hätte ichs nicht zu Ende gelebt, sei halben Wegs umgekehrt,[...]. (ZT, 18)

 

Durch den Ausspruch des Wüstenforschers, Sven Hedin[xlv]:  „‚Jedermann braucht etwas Wüste.ʼ” (ZT, 224), auf den der Ich-Erzähler Bezug nimmt, und den der Romanautor stark hervorhebt, in dem er ihn als Geleitwort seinem Roman voranstellt, wird die Grunderfahrung im Zeltbuch von Tumilat resümiert.       

                                      

 

Fazit

Die vollzogene Untersuchung des Wüstenmotivs in Erhart Kästners Zeltbuch von Tumilat wies mannigfaltige, nicht selten auch gegensätzliche Wüstenbilder auf, die entweder von den verschiedenen Romanfiguren repräsentiert werden, oder die verschiedene Phasen in der Wüstenerfahrung des Protagonisten darstellen. In diesen Bildern erscheint die Wüste nicht als eine Landschaft, sondern vielmehr als eine ganze, anspielungsreiche Welt, die symbolisch interpretiert wird.

Anhand der Archetypentheorie hat sich die symbolische Erfassung der Wüstenwelt z.B. als Ort des Gestorbenseins, der Heiterkeit, der Gottesnähe, der Heimatsuchung etc. erhellt. Dadurch manifestieren sich einerseits die multiplen Funktionen, die der Wüste im untersuchten Roman zukommen und andererseits die Gemeinsamkeiten zwischen diesem und anderen Wüstentexten, die dieselben Wüstenfunktionen implizieren.

Hiermit tritt die komplexe Tiefenstruktur des Wüstenmotivs im Zeltbuch von Tumilat klar hervor, die sich nicht lediglich von relevanten literarischen Texten ernährt. Die Literarische Anthropologie hat gewisse Varianten der Wüstenwahrnehmung im ausgewählten Roman aufgedeckt, die philosophischen, theologischen sowie ästhetischen Konzepten entstammen. Bei diesen Konzepten konkurrieren vorwiegend Realität und Schein miteinander, wobei Schein eine wesentliche Funktion zugewiesen ist, die Iser in seiner Literarischen Anthropologie hervorhebt. Iser profiliert die Wechselbeziehung zwischen dem Realen, Fiktiven und Imaginären[xlvi], wobei er das Fiktive als literarische Inszinierung des Realen, einschließlich Welt und Mensch, ansieht, das durch das Imaginäre eine neue Gestalt im Text annimmt. Dabei werden, so Iser, pragmatische Denkmuster und wirklichkeitsbezogene Gegebenheiten überstiegen. Diese These betrifft die verschiedenen dargestellten philosophischen, theologischen und ästhetischen Wahrnehmungformen der Wüste im untersuchten Roman, die alle die Wüstenrealität überschreiten. Iser zufolge erlaubt die Fiktionalisierung wiederkehrender lebensweltlicher Realität durch das Imaginäre bessere Einsichten in die Welt bzw. in den Menschen, was schließlich ein besseres Selbst- und Weltverständnis und demzufolge eine Wahrnehmungsveränderung zur Verfügung stelle. Auch diese These von Iser hat sich im Roman durch die verschiedenen imaginativen Wüstenauffassungen nachgewiesen, die ein näheres Verständnis der Welt- bzw. Selbstwahrnehmung von den Romanfiguren darbieten und diesen sogar eine Veränderung ihrer ursprünglichen Welt- und Selbstwahrnehmung ermöglichen. Unter diesem Gesichtspunkt verkörpert das Zeltbuch von Tumilat Isers Auffassung von Literatur als Instrumentarium der Selbsterweiterung bzw. der extensionalen Anthropologie.

Nicht zuletzt hat sich über die Symboltheorie, die die Symbolbildung mit ihren kulturellen Rahmenbedingungen eng verknüpft, aufgezeigt, dass der Krieg als entscheidender Wendepunkt im kulturellen Hintergrund der deutschen Wüstengefangenen die Wüstenauffassung dieser im Grunde bestimmt, und sie sogar in eine positive oder negative Welt- und Selbstwahrnehmung umsetzt. Die Verwandlung der Wüste in Symbole, die sich im Grunde auf Merkیتmale, Erlebnisse und Erfahrungen in der Heimat vor, während und nach dem Krieg beziehen, ist als Reaktion der Kriegsüberlebenden auf das Kriegsgeschehnis zu verstehen. Die von ihnen erschaffenen Wüstenbilder sollten den Wirklichkeitsverlust in ihrer Heimat infolge der Kriegszerstörung entweder symbolisch bestätigen oder symbolisch kompensieren. Damit weitet sich das Traditionsgefüge des Wüstenmotivs durch den ausgewählten Roman um eine neue Funktion aus, die den individuellen Einfluss von Erhart Kästner als ehemaligem Kriegsgefangenem in der ägyptischen Wüste ans Licht bringt. In diesem Zusammenhang wurde Fiedlers Theorie, dass ein überindividueller Archetypus durch die ‚signatureʼ des Autors gefärbt wird, in Betracht gezogen. 

Dass dem modernen Europa, das zwei Weltkriege hervorgebracht hat,   die abgeschiedene orientalische Wüste als Gegenwelt entgegengestellt wird,  wo die Kriegsüberlebenden wiedergeboren werden, rückt schließlich die interkulturelle Dimension des Romans an den Vordergrund. Hier scheint das erhobene Plädoyer „der Vertreter des archetypal criticism für [...] Teilhabe an verlorengegangener Ursprünglichkeit und [...] für eine Wiederverzauberung der modernen Wirklichkeitswahrnehmung”[xlvii] im richtigen Kontext zu sein.



Anmerkungen

[i]           Als Teil des exotischen Orientbildes tritt die Wüste in der Literatur des 18. Jhdts. auf, die eine Begeisterung für das Exotische im Allgemeinen und für die exotischen Geschichten der ‚Tausendundeine Nachtʼ im Besonderen zeigt. Wüstenklischees setzten sich in der Literatur des frühen 19. Jhdts. durch Karl May weiter durch und beförderten spätere Stereotype, die kolonialen Zwecken im späteren 19. Jhdt. dienten. In der westlichen Literatur des 20. Jhdts. ragen zahlreiche Wüstentexte besonders hervor, unter denen der 1992 erschienene Roman „Der englische Patient” vom kanadischen Autor Michael Ondaatje eine besondere Stellung einnimmt. Vgl. dazu  Lindemann, Uwe:Fremd und nahezu unkontrollierbar. Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Uwe Lindemann über Wüstenbilder in der Literatur von der Antike bis in die Gegenwart. http://www.zeitzeichen.net/interview/2012/wueste. Letzter Zugriff 25.11.2017

[ii]          Ebd.  

[iii]         Im Vergleich zu den vielfältigen Aspekten des Romans gibt es zu wenige Studien dazu. Auf Grund dessen empfiehlt die Verfasserin des vorliegenden Beitrags Erhart Kästners Zeltbuch von Tumilat für weitere literaturwissenschaftliche Untersuchungen.

[iv]          Kästner, Erhart: Zeltbuch von Tumilat. Frankfurt 1967.  Nach dieser Ausgabe wird hier und im Folgenden mit der Sigle ZT und Seitenangabe im Text zitiert.

[v]      Das ‚kollektive Unbewussteʼ ist ein Grundbegriff bei Carl Gustav Jung, mit dem er den überpersönlichen Bereich des Unbewussten in der Psyche des Menschen, abgesehen von der  Kultur, Sprache oder der Epoche, der er angehört, meint. Als Basiskonzept der Analytischen Psychologie Jungs entwickelte sich das ‚kollektive Unbewussteʼ in Zusammenhang mit der Archetypentheorie, anhand derer Jung wiederkehrende Verhaltensmuster und symbolische Vorstellungen erforschte, die in Projektionen des Ich, sowie in Träumen, Mythen, in der Kunst und vor allem in der Literatur auf Grund ihrer privilegierten Teilhabe am kollektiven Unbewussten auftreten. Für seine Theorie galten die Motive der Weltliteratur als empirische Grundlage.  Vgl. Jung, Carl Gustav: Bewußtes und Unbewußtes. Frankfurt am Main 1957; und ders.: Man and his symboles. London 1964.

[vi]         Der Begriff Archetyp stammt aus dem Griechischen und bedeutet Urbild, Urform, das zuerst Geprägte (archḗ: Anfang; týpos: das Geprägte). Die Archetypentheorie steht in engem Verhältnis zu der von den 1950 bis die 1970er Jahre in den USA verbreiteten Mythentheorie.  Vgl. dazu: Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze-Personen-Grundbegriffe. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart 2004, S. 24-26.

[vii]        Vgl. Bodkin, Maud: Archetypal Patterns in Poetry. Psychological Studies of Imagination. New York 1958.

[viii]        Frye, Northrop:  Anatomy of Criticism: Four Essays. New Jersey 1957, S. 99. In dieser Mythos und Archetypen-Forschung entwirft Frye durch seine Typologie mythischer und archetypischer  Muster der Gesamtliteratur ein umfassendes Schema.   

[ix]         Die verschiedenen Kulturformen, vor allem Sprache, Geschichte, Religion Wissenschaften und Kunst, die von Cassirer auch symbolische Formen genannt werden, betrachtet dieser als einziges System der Zeichen- und Symbolbildung, das Kulturgegenstände genau beobachtet und in konkreten historischen und materiellen Ausdrucksformen symbolisch widergibt. Diese symbolischen Ausdrucksformen gestalten wiederum das kulturelle Leben des Individuums.  Vgl. dazu: Cassirer, Ernst: „Philosophie der symbolischen Formen” (1923/25/29), 3 Bde. Berlin 1997.

[x]          Cassirer, Ernst: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien (1942). Darmstadt 1994, S. 15.

[xi]      Vgl. dazu Fiedler, Leslie: Archetype and Signature: A Study of the Relationship between Biography and Poetry. In: The Sewanee Review. Vol. 60. No. 2. Baltimore 1952, S. 253-273.

[xii]         Poyatos, Fernando: Literary Anthropology: A New Interdisciplinary Approch to People, Signs and Literature. Amsterdam/Philadelphia 1988, S. xii. In diesem Aufsatz wurde der Begriff ‚Literary Anthropologyʼ zum ersten Mal eingeführt. 

[xiii]        Vgl. Iser, Wolfgang: Towards a literary Anthropology. In Cohen, Ralph: The Future of Literary Theory. New York and London 1989, S. 203-228.  

 

[xiv]        Vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Elfte unveränderte Auflage. Tübingen 1967.

[xv]       Vgl. dazu Hofmann, Beate: Zur Bedeutung der Wüste im pharaonischen Ägypten. In: Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annäherungen an einen interkulturellen Topos. Würzburg 2000, S. 17-28.

[xvi]     Der Protagonist in Karl Philipp Moritz' gleichnamigem, von 1785 bis 1790 in vier Teilen erschienenem psychologischem Roman. Vgl. Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/moritz_reiser. Letzter Zugriff 14.1.2018.     

[xvii]     Lindemann, Uwe:Fremd und nahezu unkontrollierbar. Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Uwe Lindemann über Wüstenbilder in der Literatur von der Antike bis in die Gegenwart. http://www.zeitzeichen.net/interview/2012/wueste. Letzter Zugriff 25.11.2017.

[xviii]      Vgl. dazu Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Köln 2005, „Die Wüste wächst: Weh dem, der Wüsten birgt”, S. 237-241.

[xx]        Vgl. Henning Ottmann (Hrsg.): Nietzsche-Handbuch. Stuttgart 2011.

[xxi]       Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. A.a.O., S. 236 f. 

[xxii]       Vgl. dazu Kuhn, Elisabeth: Stichwort „Nihilismus“. In: Henning Ottmann (Hrsg.): Nietzsche-Handbuch. A.a.O., S. 293–298. Hier: S. 297.

[xxiii]       Vgl. dazu Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. A.a.O., S. 24.

[xxiv]     Ein Wüstental, das in der westlichen Wüste Ägyptens liegt und über die Siwa-Oase in die Lybische Wüste hinein führt.

[xxv]       Näheres zum anachoretischen Mönchtum ist zu finden in Schulz, Günther: Mit Wüstenvätern und Wüstenmüttern im Gespräch. Zugänge zur Welt des frühen Mönchtums in Ägypten. Göttingen 2011.

[xxvi] Vgl. Flaubert, Gustave: Die Versuchung des Heiligen Antonius. http://download.fusionsbook.com/lp/freeaccess.php?q=Die+Versuchung+des+heiligen+Antonius+by+Gustave+Flaubert&i= Letzter Zugriff. 28.1.2018.

[xxvii]      Schmitz-Emans, Monika: Die Wüste als poetologisches Gleichnis. In: In: Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): Was ist eine Wüste? A.a.O., S. 127-152. Hier: S. 139.  

[xxviii]     Vgl. Schulz, Günther: Mit Wüstenvätern und Wüstenmüttern im Gespräch. A.a.O., S.  20.

[xxix]     Vgl. Ceming, Katharina: Ab in die Wüste! Mut zur Selbsterkenntnis – den Wüstenvätern abgeschaut. München 2013.  

[xxx]     Mystische Frömmigkeit, Askese und Mönchtum als Gegenpol zur Moderne wurde zum Zentralthema in den späteren Werken von Erhart Kästner, vor allem in „Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos” (1956). Vgl. dazu Hiller von Gaertringen, Julia: Erhart Kaestner. Ein Annenser und unbeirrbarer Humanist. dilhttp://www.llb-detmold.de/fileadmin/user_upload/redaktion/dokumente/texte/2006-8_Julia_Hiller_von_Gaertringen_Erhart_Kaestner_ein_Annenser.pdf. Letzter Zugriff 1.11. 2017.

[xxxi]       Vgl. Bowles, Paul: Himmel über der Wüste. München 2000; auch Spiegel online: Die Wüste ist eine Enttäuschung. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13496632.html. Letzter Zugriff 14.1.2018.

[xxxii]       Pauls Kunsttheorie markiert einen klaren Bruch mit dem elitären Kunstverständnis der Moderne und knüpft an die seit den 60er Jahren sich durchsetzenden postmodernen Kunstprojekte an, die sich nicht mehr an tradierte Kunstmaßstäbe wie Schönheit, Wahrheit und Authenzität halten, sondern die Relativität bei ästhetischen Urteilen hervorheben. Vgl. dazu Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. A.a.O., Postmoderne, S. 543-544.           

[xxxiii]     Das berühmte Gemälde „Flucht nach Ägypten” aus dem Jahre 1609 stammt vom deutschen  Maler, Adam Elsheimer (1578-1610). Vgl. dazu Encyclopaedia Britannica: Adam Elsheimer. https://www.britannica.com/biography/Adam-Elsheimer. Letzter Zugriff 24.1.2018.   

[xxxiv]    Vgl.  Heidegger: Die Technik und die Kehre. http://www.bard.edu/library/arendt/pdfs/Heidegger-TechnikundKehre.pdf. Letzter Zugriff 4.2.2018; und dazu Schüler, Andreas: Erfindergeist und Technikkritik. Der Beitrag Amerikas zur Modernisierung und die Technikdebatte um 1900. Stuttgart 1990, S. 161-169.

[xxxv]       Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. A.a.O., S. 24. 

[xxxvi]    Lindemann, Uwe:Fremd und nahezu unkontrollierbar. Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Uwe Lindemann über Wüstenbilder in der Literatur von der Antike bis in die Gegenwart. A.a.O..

[xxxvii]     Die ewige Wiederkehr des Gleichen ist ein Zentralkonzept in Nietzsches Hauptwerk „Also sprach Zarathustra” (1883-1885). Vgl. Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. A.a.O.

[xxxviii]     Vgl. die Erläuterung des Konzepts unter Philosophenkönig:  Nietzsches Konzeption der ewigen     Wiederkehr. http://philosophenkoenig.com/wiederkehr.php. Letzter  Zugriff 10.1.2018.

[xxxix]    Als aktives Mitglied der NSDAP, das sich freiwillig zur Wehrmacht meldete, und in deren dienstlichem Auftrag ein Griechenland-Buch für deutsche Soldaten schrieb, gilt der nazistische Wehrmachtsautor, Erhart Kästner, in der Nachkriegsära als ein leiser Schriftsteller, der sich für die Nichtbeschreibung der Kriegsschrecklichkeiten bzw. für die Verdrängung der Kriegsvergangenheit einsetzte. Vgl. dazu Nitzschke, Katrin: Erhart Kästner. A.a.O.

[xl]    Peitsch, Helmut: Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945 bis 1949. Berlin 1990, S. 303. Zitiert nach Busch, Stefan: Versuchʼs mal mit Genügsamkeit. Erhart Kästners Zeltbuch von Tumilad als Produkt des Nachkriegsgeistes. In:  Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annäherungen an einen interkulturellen Topos. Würzburg 2000, S. 153-166. Hier: S. 165.

[xli]         Der anonyme alte Bekannte, der vom Ich-Erzähler als ‚das große Hauptʼ bezeichnet wird, sollte Gerhard Hauptmann sein, für den Erhart Kästner vor seiner Wehrmachtsmeldung als Sekretär gearbeitet hatte. Vgl. dazu Hiller von Gaertringen, Julia: Erhart Käsnter. Ein Annenser und unbeirrbarer Humanist. A.a.O.

[xlii]        Wüste erscheint in den Predigten von Meister Eckhart nicht als Ort, sondern eher als Phänomen.  Vgl. Eckharts theologisch-metaphysische bzw. philosophische Deutung des Wüstenbegriffs in Asmuth, Christoph: „....,sȏ wonete der mensche in der wüestunge....”. In: Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annäherungen an einen interkulturellen Topos. A.a.O., S. 114-126.

[xliii]        Schulz, Günther: Mit Wüstenvätern und Wüstenmüttern im Gespräch. Zugänge zur Welt des frühen Mönchtums in Ägypten. A.a.O., S. 23.

[xliv]       Die Leugnung der Existenz Gottes als Folge des Glaubens- und Werteverlustes des modernen Menschen gilt als extremste Form von Nietzsches Nihilismus, die in seinem Werk „Die Fröhliche Wissenschaft” auftaucht. Vgl. Nietzsche, Friedrich: Die Fröhliche Wissenschaft. http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-frohliche-wissenschaft-3245/6. Letzter Zugriff 2.2.2018.    

[xlv]      Sven Hedin ist ein schwedischer Forscher, der für seine Expeditionen in Asien bzw. seine wichtigen archäologischen Funde dort bekannt ist. Vgl. https://www.britannica.com/biography/Sven-Anders-Hedin. Letzter Zugriff 11.2.2018.

[xlvi]    Vgl. dazu Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspekiven literarischer Anthropologie. Frankfurt am Main 1991 und ders.: What is Literary Anthropology? The Difference between Explanatory and Exploratory Fictions”. https://publishing.cdlib.org/ucpressebooks/view?docId=kt309nc6gn&chunk.id=ch09&toc.id=ch09&brand=ucpress. Letzter Zugriff 18.12.2017. In diesen beiden Werken äußert sich Iser darüber, wie die wiederkehrende Realität zum Zeichen werde und das Imaginäre als Vorstellbarkeit des dadurch Bezeichneten sei. Vgl. auch ders.: Prospecting: From Reader Response to Literary Anthropology. Maryland 1989, S. 237: „Yet fictionality is only an instrument that channels the necessary flow of fantasy into our everyday world. As an activity of consciousness it taps our imaginary resources, simultaneously shaping them for their employment, and so the interplay between the fictional and the imaginary turns out to be basic to the heuristics of literary anthropology.”

[xlvii]       Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. A.a.O., S. 24.

Asmuth, Christoph: „....,sȏ wonete der mensche in der wüestunge....”. In: Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annäherungen an einen interkulturellen Topos. Würzburg 2000, S. 114-126.
Baasner, Rainer: Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Unter Mitarbeit von Maria Zens. Berlin 1996.     
Bodkin, Maud.: Archetypal Patterns in Poetry. Psychological Studies of Imagination (1934). New York 1958.
Busch, Stefan: Versuch's mal mit Genügsamkeit. Erhart Kästners Zeltbuch von Tumilad als Produkt des Nachkriegsgeistes. In:  Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annäherungen an einen interkulturellen Topos. Würzburg 2000, S. 153-166. 
Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen (1923/25/29), 3 Bde. Berlin 1997.
Ders.: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien (1942). Darmstadt 1994.
Ceming, Katharina: Ab in die Wüste! Mut zur Selbsterkenntnis – den Wüstenvätern abgeschaut. München 2013.  
Foerster, M. J.: Individuation und Objektbeziehung. Eine Auseinandersetzung mit der Analytischen Psychologie und der Archetypenlehre C.G.Jungs. Aachen 2000.
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Online-Quellen
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Hohoff, Ulrich: Erhart Kästner zum 100. Geburtstag. Schriftsteller und Bibliothekar. https://www.bibliothek.uni-augsburg.de/ausstellungen/archiv_2004/kaestner.html. Letzter Zugriff 2.11.2017.
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Prinziger, Michaela: Literarische Wanderungen eines Soldaten: Erhart Kästner auf Kreta. https://michaela-prinzinger.eu/allgemein/literarische-wanderungen-eines-soldaten-erhart-kaestner-auf-kreta. Letzter Zugriff 24. 12. 2017.